Donnerstag, 1. Dezember 2011

Loslassen


Als Schamanen gehen wir unseren eigenen Weg, ein Weg des Herzens, bei dem wir jede Entscheidung mit dem Herzen fällen und so die Absicht des Universums erfüllen. Dies hat zur Konsequenz, dass wir andere Wege, beziehungsweise andere Entscheidungsgrundlagen loslassen müssen. Anders ist ein solcher Weg nicht möglich. Ich möchte hier deshalb einige Punkte erwähnen, bei denen Loslassen ein Thema sein könnte. Es lohnt sich, diese durchzugehen, und zu beurteilen, ob wir in diesen Bereichen wirklich losgelassen haben. Die nachfolgende Liste ist natürlich unvollständig und nicht der Wichtigkeit nach geordnet. Auch überlappen sich die Themen teilweise und zudem ist sie persönlich gefärbt. Gerne veröffentliche ich deshalb in der nächsten Ausgabe weitere Themen des Loslassens der Leserinnen und Leser.

Der konkrete Ausgang von Entscheidungen loslassen: Eigene Wege sind nicht auf äussere Ziele gerichtet, d.h. wir fällen eine Entscheidung, im Bewusstsein, dass es uns gleich ist, wie sie herauskommt. Ob uns etwas gelingt oder nicht, ob wir ein Ziel erreichen oder nicht, ob sich etwas verändert oder nicht – all dies spielt somit keine Rolle. Wir lassen also den Ausgang von Entscheidungen offen.

Die Bewertung von Ereignissen, Begebenheiten, Gegenständen etc. loslassen: Die Dinge sind wie sie sind. Wir beobachten sie und falls sie bei uns Gefühle oder Verzweiflung auslösen, dann haben wir einen Entscheidungsbedarf. Das heisst aber nicht, dass die Dinge gut oder schlecht sind, sie sind einfach und in diesem konkreten Umfeld haben wir einen Weg zu gehen. Wir lassen also die Bewertung der Umstände los.

Die Identifikation mit etwas loslassen: Wir sind Wesen, welche erkannt haben, dass es eigene Wege gibt, dass es darum geht, die Absicht des Universums zu erfüllen. Deshalb identifizieren wir uns nicht mehr mit einer der vielen Kategorien von Menschen, die es gibt. Wir identifizieren uns also nicht mehr mit unserer Nationalität, mit unserem Beruf, Familienstand, Sozialstatus oder mit unserer Rasse usw. Wir sind einfach uns und lassen jede Bezeichnung oder Kategorisierung los.




Herbst ist eine Zeit des Loslassens. Fotos: Jakob

Die Erwartung, unterstützt und anerkannt zu werden, loslassen: Unterstützung kann auf unserem Weg vorhanden sein oder auch nicht. Wir lassen dies offen. Wir wissen dabei, dass oft hinter der Unterstützung, die wir erhalten, eine Absicht versteckt ist, die nicht unbedingt mit unserem Weg sondern mit den Ideen und Vorstellungen des anderen zu tun haben. Wir hegen also keine Hoffnungen von anderen unterstützt oder anerkannt zu werden. Kommt Unterstützung und Anerkennung trotzdem, sagen wir natürlich nicht nein. Wir haben sie einfach nicht erwartet.

Sicherheit loslassen: Meist hat Sicherheit einen Preis, ein System, eine Institution oder eine Beziehung bieten oft nur dann Sicherheit, wenn wir gewillt sind, die Bedingungen des Systems, der Institution oder Beziehung zu anerkennen. Und es müsste gerade Zufall sein, falls diese Bedingungen mit unserem Weg übereinstimmen. Aus diesem Grund müssen wir unser Bedürfnis nach Sicherheit loslassen.

Erfolg loslassen: Ähnlich zur Beobachtung über den Ausgang von Entscheidungen, messen wir uns nicht am Erfolg unserer Handlungen. Es kommt also nicht darauf an, ob wir Karriere machen oder nicht, ob wir Geld, viele Kunden, viele Liegenschaften etc. haben, sondern es kommt darauf an, dass wir uns selbst werden beziehungsweise unsren Weg gehen. Wir lassen also Erfolg los.

Vorstellungen über einen Idealzustand loslassen: Wir lassen unsere Vorstellung darüber los, wie die Dinge besser sein könnten. Wir sind in einem Umfeld voller Probleme, wir akzeptieren diese und machen uns nicht zu viele Gedanken darüber, wie sie besser sein könnten, sondern wir schauen, was diese Umgebung mit uns selbst zu tun hat. Haben wir dies erkannt, arbeiten und heilen wir an uns.

Seine Vergangenheit loslassen: Wir leben im Jetzt. Hierzu anerkennen wir zwar, dass wir eine Vergangenheit haben, aber wir lassen diese los, so dass diese uns nicht mehr beeinflusst und unsere Wahrnehmung im Jetzt stört.

Diese Liste gibt lediglich einige Ideen. Weitere Themen des Loslassens gibt es überall. In ganz vielen Bereichen des Lebens können wir so zu mehr Freiheit gelangen.

 

Eine persönliche Geschichte des Loslassens:

 

Jakob: Die Themen in einem Forum kommen natürlich nicht von ungefähr – ich kann nicht anders, als solche zu wählen, die mit mir selbst zu tun haben. Das Thema Loslassen kam unter anderem deshalb auf, weil ich beschloss, mein amerikanisches Bürgerrecht aufzugeben (ich war Doppelbürger CH – USA). Der Anlass war der Steuerstreit zwischen der Schweiz und den USA und die immer krasser werdenden Steuerforderungen an Amerikaner im Ausland. Jeder Amerikaner im Ausland ist auch in den USA steuerpflichtig. Die notwendigen und sehr komplexen Formulare muss man sich im Internet selber zusammensuchen, auf eine Verfügung wartet man vergebens, doch laufen die Strafen für unverhoffte Fehler sehr schnell in die Zehntausende von Dollars. Es besteht zudem das sehr grosse Risiko, dass Auslandamerikaner nach der Inkraftsetzung neuer amerikanischer Gesetze ab 2014 Schwierigkeiten haben werden. normale Bankkonten zu führen, bei Pensionskassen Mitglied zu sein etc. Ich ging tief in mich, hörte auf mein Herz und es wurde klar: Ich gebe mein amerikanisches Bürgerrecht auf.

Ich war seit Geburt Amerikaner und habe viele Jahre dort verbracht, darunter viele Jahre meiner Kindheit. Ich habe auch unzählige Reisen in die USA unternommen und bin dort dem Schamanismus begegnet. Die Verbindungen zu diesem Land sind deshalb stark und dennoch sagte mein Herz eindeutig Ja zur Ausbürgerung.

Das Bürgerrecht der USA aufzugeben ist jedoch nicht gerade einfach, man muss persönlich in einer Botschaft oder einem Konsulat vorbei, dort das Bürgerrecht buchstäblich mit erhobener rechter Hand abschwören (I so swear…) und dazu noch $ 450 bezahlen. Da zurzeit Tausende von CH-USA Doppelbürger das Bürgerrecht aufgeben, bekam ich in Bern einen Termin anderthalb Jahr später, im Mai 2013 (!). Als Alternative bot sich das Konsulat in Frankfurt an, und ich beschloss dorthin zu gehen. Diese Option hatte zudem den schönen Vorteil, dass ich mich zusammen mit meiner Schwester ausbürgern konnte.

 


 

Joshua Tree National Park. Hier beregnete ich zum ersten Mal dem Schamanismus. Foto: Jakob

 Monate vorher, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass meine Ausbürgerung bevorstehen würde, hatte ich einen Flug nach Los Angeles gebucht. So konnte ich kurz vor der Ausbürgerung noch eine letzte Reise als Amerikaner in die USA unternehmen und hatte so Gelegenheit einerseits nochmals die Orte meiner Kindheit zu besuchen und auch nochmals der Ort, wo ich dem Schamanismus begegnet bin. Diese Reise hatte sehr viel mit Loslassen zu tun, es war ein bewusstes Abschied nehmen von prägenden Orten, ein Loslassen, also,  meiner Vergangenheit.
 

Militärfriedhof gegenüber meinem ersten Wohnort in Los Angeles.Foto: Jakob


Als allerletzter Ort ging ich an die Strasse in Los Angeles, wo ich die ersten anderthalb Jahre meines Lebens verbrachte. Der Block stand nicht mehr, ich entdeckte aber gegenüber einen riesigen Militärfriedhof. Als allerletzte Handlung in den USA ging ich in diesen Friedhof und schaute die Gräber an. Ich dachte: So viele Soldaten wurde gesagt, dass sie ihr Leben für die USA aufgeben. Und hier war ich, und gab das Bürgerrecht freiwillig auf…

Nur wenige Wochen später reiste ich nach Frankfurt und wir gingen dort durch den Prozess der Ausbürgerung. Das Gelände des Konsulates wirkte kalt und wie ein Gefängnis, riesig mit unzähligen Gebäuden und sogar eine kleinen Kirche hatte es – und alles hinter einem hohen Zaun. Auch die Kammer, in der das Schwören stattfand, war kalt und klein, getrennt mit einer Glaswand vom Beamten, welcher den Schwur durchführte. Und interessanterweise war das Konsulat – so wie die erste Strasse in Los Angeles - gegenüber von einem riesigen Friedhof.

Das Ausbürgern war für mich alles andere als einfach. In erkannte darin auch das, was ich mittlerweile als amerikanische Indoktrination bezeichne (z.B. der tägliche Fahnengruss in der Schule). Der ganze Vorgang zeigte alle Elemente des Loslassens auf: Die vermeintliche Sicherheit, die ein System (hier ein Land) bietet, die Identifikation als Nationalität, das Loslassen der Vergangenheit, das Loslassen eines Idealzustandes (ich darf Doppelbürger bleiben) und natürlich auch das Loslassen des konkreten Ausgangs, denn ich weiss nicht, ob dieser Entscheid sich in Zukunft als geschickt herausstellen wird oder nicht. Aber es fühlte sich richtig an, es war ein Entscheid des Herzens, alles andere folgt nun.

 

Und ich habe auch den Eindruck, dass diese Ausbürgerung damit zu tun hat, dass ich nun – was Schamanismus betrifft – auf eigenen Füssen stehen soll. Ich soll meine Inspiration nicht mehr vom Land dort und von der indianischen Kultur bekommen sondern in mir selbst.  Auch das ist ein wichtiger Schritt des Loslassens.

 



 

Teile des Konsulates in Frankfurt, das Gelände ist 9 ha gross und 900 Mitarbeiter arbeiten dort…