Donnerstag, 1. November 2007

Anfang und Ende

 In der Nähe von Bremgarten im schweizerischen Kanton Aargau steht der Erdmannlistein. Dieser steht auf einem Kraftort, welcher mit Ende und Neuanfang zu tun hat. Um dies bewusst zu erleben, kriecht man von einer Seite des Steins durch eine Enge und kommt dann verändert auf der anderen Seite heraus. Danach widmet man sich einem neuen Abschnitt des Lebens. So erfährt man zwei Merkmale des Lebens: Alles verändert sich und alles, was beginnt, endet auch einmal.

 


 


 
Der Erdmannlistein bei Bremgarten, Kanton Aargau liegt auf einem Kraftort, der mit Anfang und Ende zu tun hat (Foto Gemeinde Wohlen)
 

 

Das Thema „Anfang und Ende“ ist im November besonders aktuell. Die Kelten begannen ihr Neujahr circa in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November, ein Feiertag, den sie Samhain nannten. Diese Nacht war eine Art Enge, in der gleichzeitig die Trennung zwischen spiritueller und materieller Welt aufgehoben wurde. Die Enge zeigte ihnen, wo sie Themen zu bearbeiten oder Wunden zu heilen hatten, die Aufhebung der Trennung zur spirituellen Welt gab gleichzeitig die Inspiration und die nötige Einsicht, ihren Weg im Leben weiter zu gehen. Dies gilt genauso für uns: Auch wir können diese Enge und die Verbundenheit bewusst für eine Veränderung und ein Neuanfang verwenden. Diese Enge muss übrigens nicht genau in dieser Nacht geschehen, es geht vielmehr um die Jahreszeit, um die Zeit, in der wenig äusseres Licht herrscht und wir Gelegenheit für die innere Einkehr haben.

Natürlich verändern wir uns das ganze Jahr über und nicht nur im November, immer enden Dinge und andere beginnen – nur sind diese oft zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedlichen Ebenen ersichtlich: Im Winter beginnt ein innerer Prozess, wir sortieren und orientieren uns innerlich neu. Im Aussen bemerken wir dabei wenig bis nichts davon. Die äussere Wandlung beginnt dann Anfang Februar, eine Zeit, welche die Kelten Imbolc nannten. Es benötigt aber zunächst eine Aufbauphase, ein Wirken im Aussen, bis dann die Änderung vollständig im Mai ausbricht, was die Kelten wiederum mit Beltane feierten. Es folgt anschliessend eine Phase der Reifung, bis dann an Lugnasad Anfang August geerntet werden kann. Der Prozess der Wandlung umfasst also das ganze Jahr. Was also in dieser Zeit der Enge Anfang November zugelassen wird, wird dann 9 Monate später geerntet. Von Lugnasad bis Samhain wird dann der Wechsel zu den inneren Prozessen wieder vorbereitet und der Gang der Dinge beginnt von neuem. Zwischen diesen vier Zeitpunkten liegen die Tag und Nachtgleichen – hier geht die Veränderung am schnellsten. Schliesslich sind der kürzeste und der längste Tag von Bedeutung. Hier findet eine Veränderung der Richtung statt – von aussen nach innen und umgekehrt. Insgesamt wird also ein Jahr von acht Zeitpunkten gekennzeichnet, die mit Wandlung, mit Anfängen und Enden zu tun haben. Dies war selbstverständlich nicht nur bei den Kelten so, sondern alle Urvölker machten die gleichen Beobachtungen.

 

 

 
Wir sind unser Weg: Ein Medizinrad als Teil des Körpers dieses Menschen verdeutlicht die Bedeutung des eigenen Weges. Auf diesem werden ständig Dinge beendet und neue angefangen. Felszeichnung in New Mexico. (Foto: Jakob)
 

 

Aber nun zurück zu der Enge Anfang November: Es geht jetzt darum, unsere Themen zu finden, zu entdecken, wo wir etwas beenden oder neu anfangen müssen. Hierzu gilt es, vor allem auf unsere Gefühle zu achten. Spüren wir Wut, wissen wir, dass wir zu nah an etwas sind, sind wir zu weit weg, spüren wir hingegen Sehnsucht. Diese beiden Gefühle zeigen uns also, wo Abweichungen von unserem Weg bestehen. Diese Themen müssen wir angehen, bestimmen, was wir heilen oder unternehmen können, um wieder auf unseren Weg zu gelangen. Meist steht dabei in dieser Jahreszeit innere Heilung im Vordergrund – hierzu geht es darum, uns mit alten Geschichten zu befassen und die dazu gehörenden Gefühle zuzulassen. Wir werden dabei oft Trauer spüren – wir lassen etwas los oder Angst – wir gehen auf etwas Neues zu. Diese Gefühle müssen voll und ganz zugelassen werden. Dies ist Heilung, dies ermöglicht das Neusortieren. Diese innere Heilung ist bereits Bewegung auf unserem Weg, auch wenn im Äusseren nicht besonders viel ersichtlich ist.

Oft wehren wir uns jedoch dagegen. Wir wollen gar nicht wirklich, dass die Dinge sich verändern, dass Dinge zu Ende gehen und Neues kommt. Manchmal möchten wir zwar das Neue, sind aber nicht bereit das Alte dabei abzugeben. Wieso? 

Der Grund: Wir wollen alles unter Kontrolle haben. Wir wollen eine Sicherheit, dass Dinge auf eine bestimmte Art und weise eintreffen, dass sie planbar sind. Wir machen uns Sorgen, Veränderungen irgendwie nicht verkraften zu können. Wir fragen uns: Werden wir wirklich die entstehenden Gefühle bewältigen können?

 

 

 
Anfang und Ende ist ein ständiger Kreislauf, welcher durch verschiedene Gekennzeichnet wird. Bei vielen Urvölkern sind acht Zeitpunkte wichtig, die den Prozess der Wandlung unterstützen. Felszeichung der Anasazi Indianer in New Mexico (Foto: Jakob)
 

 

Hätten wir hingegen das Vertrauen, mit jeder Situation umgehen zu können, wären wir innerlich sicher, dass alles irgendwie mit uns zu tun hat, dann könnten wir die Kontrolle aufgeben und uns dem Fluss der Ereignisse widmen. Wir müssen also herausfinden, wo wir noch nicht bereit sind, uns den Veränderungen zu stellen und wo wir noch versuchen, Kontrolle über die Geschehnisse zu bewahren. Haben wir dies entdeckt, so besteht der zweite Schritt darin, auszumachen, wie wir praktisch diese Kontrolle aufgeben können, denn alleine mit dem Willen geht dies nicht. In aller Regel, wird der zweite Teil der Aufgabe zu alten Geschichten führen, bei denen dieses Vertrauen in den Fluss der Dinge so stark gestört wurde, dass er heute noch nachwirkt.

Wie gehen wir nun also vor, jetzt im November? Es braucht nichts Weiteres, als die Empfindungen einfach zuzulassen. Wir müssen uns viel Zeit geben, Wut, Sehnsucht, Trauer und Angst zu spüren. Genau dies ermöglicht die nötigen inneren Prozesse. Wir müssen dabei Acht geben, im Aussen nicht zu aktiv zu sein, denn dies lenkt uns von den inneren Abläufen ab. Daneben ist es wichtig, dass wir die Verbundenheit mit Allem spüren. Dies gibt uns das nötige Vertrauen, die Empfindungen zuzulassen. Wir wissen dann, dass alles, was geschieht im Sinne des Ganzen ist. Dies geht im November und Dezember auch gut, denn in dieser Jahreszeit ist die Trennung zwischen materieller und spiritueller Welt viel kleiner. 

Und dann, sobald äussere Entscheidungen sich bemerkbar machen – meist, wie gesagt, erst im Februar – müssen wir darauf achten, diese immer konsequent mit dem Herzen zu fällen. Dies, bis es dann ein Jahr später wieder darum geht, die innere Prozesse zuzulassen. Herzentscheide geben uns Gewähr, dass wir dann in die richtige Enge, zu den richtigen Themen gelangen und diejenigen Gefühle zulassen, die eben genau mit unserem Weg zu tun habe. Und so geht der Kreislauf weiter und weiter.