Montag, 1. Februar 2016

Braucht es Enthaltsamkeit für den eigenen Weg?


Es gibt unzählige Vorschläge, wie eigene Wege unterstützt werden könnten. Dazu gehören Empfehlungen, welche Enthaltsamkeit raten. Gemeint damit ist nicht nur, dass man sich sexuell zurückhalten oder ganz auf Sex verzichten sollte, sondern auch, dass man wenig isst, asketisch lebt, keine Drogen nimmt, das Vergnügen meidet und dergleichen. Meist stehen zwei Begründungen hinter dieser Idee: 1) Solche Aktivitäten rauben Energie, welche dann für den eigenen Weg nicht mehr zur Verfügung steht. Dies kann man sich wiederum nicht leisten, denn für den eigenen Weg benötigen wir unsere gesamte Energie. 2) Solche Handlungen lenken uns ferner von unserem Weg ab. Im besten Fall haben wir dabei nicht mehr die volle Aufmerksamkeit zur Verfügung und im schlechtesten verpassen wir unseren Weg sogar gänzlich. In anderen Worten: Wir müssen achtsam sein, überall lauern Gefahren oder Versuchungen, ständig sind wir irgendwelchen Prüfungen unterworfen und bestehen wir diese nicht, dann können wir unseren Weg vergessen. Es wird dann unmöglich die Liebe, die Erleuchtung oder Gott zu finden, wir müssen allenfalls sogar in einem anderen Leben dafür büssen oder sonstige Strafen auf uns nehmen. Unser Verzicht ist also ein notwendiges Opfer, welches wir erbringen müssen, damit wir weiterkommen. Den Versuchungen gilt es also mit allen Mitteln zu widerstehen.  
 
Kann das sein? Stimmt dies wirklich? Viele sagen ja. Immerhin ist diese Vorstellung ein wichtiger Bestandteil zahlreicher spiritueller Traditionen oder Religionen. Regeln über Essen oder Sexualität sind fast überall anzutreffen – und meistens geht es dabei um Verzicht auf die eine oder andere Art. Wurde hier also etwas Wichtiges erkannt oder vielleicht doch nicht? Die wichtige Frage: Muss man, um den eigenen Weg zu gehen, enthaltsam leben?
 
Obwohl häufig und prominent gestellt, geht diese Frage meines Erachtens an der Essenz von eigenen Wegen vorbei. Diese Frage stellt sich also gar nicht. Ich sehe es stattdessen eher so: Es gibt keine konkreten Handlungen, welche als solche unseren Weg fördern oder behindern könnten. Jede einzelne Aktivität kann entweder auf unserem Weg sein oder eben auch nicht. Alle Handlungen sind diesbezüglich wertneutral, sie können nicht als Massstab herangezogen werden. Das gleiche gilt natürlich für den Verzicht auf etwas – nicht handeln ist in diesem Sinne das gleiche wie handeln. Konkret kann zum Beispiel Sex auf dem eigenen Weg sein, aber es kann auch von diesem ablenken. Umgekehrt kann kein Sex auf dem eigenen Weg sein, oder aber auch ablenken.  
 
Es ist demnach nicht die Handlung als solche, sondern unser Herz, welches entscheidet, was auf unserem Weg liegt und was nicht. Weil unser Herz nur im Jetzt entscheiden kann, sind sowieso solche grundsätzlichen Entscheide unmöglich – zum Beispiel ob eine bestimmte Handlung nun zu uns passt oder nicht. Wir können uns also nur jetzt für oder gegen eine Handlung entscheiden – morgen müssen wir erneut entscheiden – und womöglich ist dann alles anders. Wir können dies im Voraus nicht wissen. Unser Weg ist nicht voraussagbar. Und dies gilt sowohl für Handlungen wie auch für den Verzicht darauf. Verzichte ich heute (von Herzen!), dann ist es möglich, dass ich dies morgen nicht mehr tue (wieder von Herzen!).
 
Hierzu passt auch das Thema des letzten Blogs (vgl. hierzu den letzten Blog Eintrag vom 31.12.15): Dort postulierte ich, dass absolute Aussagen den Fluss der Liebe behindern können. Enthaltsamkeitsgebote sind nun genau solche absoluten Aussagen. Es wird etwa gesagt: „Mach es genau so, dann bleibst du auf deinem Weg.“, aber eine solche absolute Regel behindert den eigenen Weg. Dies deshalb, weil die Liebe nicht mehr fliessen kann und der eigene Weg sehr viel damit zu hat, dem Fluss der Liebe zu folgen. Der Zweck der Regel wird also verfehlt. Wahrscheinlich ist dies sogar eine bewusste Taktik, denn solche Aussagen stammen oft von organisierten Religionen oder Gemeinschaften, die ihre Mitglieder damit bei der Stange halten. Solche Aussagen sind also eine Falle: Geködert wird mit Aussagen über den eigenen Weg (oder Gott, die Liebe, Erleuchtung und so weiter) und sind die Menschen einmal angezogen, schnappt die absolute Aussage zu und behindert in der Folge den wirklich eigenen Weg. Hat man dann eine Weile diese Opfer auf sich gebracht, hat man also schon viel investiert, dann schwindet das Interesse immer mehr, die Regelwerke der absoluten Aussagen zu hinterfragen und man bleibt bei der Organisation.
 
Wie sieht es der Schamane? Alles, was er im Leben antrifft, gehört zu seinem Weg. Alles kann demnach dazu dienen, dass er sich selbst beziehungsweise seinen Weg erkennt. Im Gewühl des Lebens – und alles darf dazugehören – erkennt er, wo noch ein Heilungsbedarf besteht. Er heilt und arbeitet an sich und gelangt so in eine neue Situationen, die wiederum bei ihm Dinge auslöst. Und immer entscheidet er mit dem Herzen: Ob er Sex hat oder nicht, entscheidet er mit dem Herzen, ob er etwas isst oder nicht ebenfalls, genauso, ob er sich einer Vergnügung hingibt oder nicht. Und weil mit dem Herzen entschieden worden ist, ist die Handlung oder Aktivität auf seinem Weg – es kann nicht anders sein. Es ist also nicht die Handlung als solche, die eine Rolle spielt, sondern die Motivation hinter der Handlung.
 
Soweit die Überlegung. Aber – dies meine Beobachtung – ist das reine Überlegen nicht genug. Ich fragte deshalb meine spirituelle Helferin, was sie zu diesem Thema findet. Hier das Resultat meiner schamanischen Reise: Ich sah mich auf einem Hügel. Um mich herum lag eine riesige Ebene, vollständig mit Menschen gefüllt, aufgeteilt in unzählige Gruppen. Alle Menschen waren daran, irgendwelche Regeln ihrer jeweiligen Gruppe zu befolgen: Beispielsweise Mönche, welche Keuschheitsgebote ablegten, Religionsgemeinschaften, welche Essensregeln aufstellten, aber auch Gesellschaften, welche zu Vergnügen aufriefen. Man bekam den Eindruck, dass alle Menschen vor allem damit beschäftigt waren, die jeweiligen Regeln einzuhalten. Ab und zu schauten Mitglieder einzelner Gruppen zu mir, hiessen mich in ihrer Gruppe willkommen, allerdings unter der Voraussetzung, auch ich würde ihre Regeln einhalten. Ich traute mich aber nicht in die Menschenmasse und sass auf diesem Hügel und fühlte mich einsam. Ohne die Regeln einer Gruppe anzunehmen, würde ich wohl diesen Hügel nie verlassen können, dachte ich mir. Ich beobachtete nun, wie andere Menschen durch die Menschenmassen zu gehen versuchten aber ohne die Regeln einzuhalten. Diese wurden schnell erkannt und buchstäblich zerfleischt. Dies bestätigte mich: Es gab offenbar wirklich kein Durchkommen. Meine Helferin fand nun, ich dürfe trotzdem nicht mehr lange auf diesem Hügel sitzen und zuschauen – ich müsse doch durch diese Menschenmenge hindurch und zwar zu einem zweiten Hügel, welcher sich auf der anderen Seite der Menschenmasse befand. Sie forderte mich dazu auf, mich übers Herz mit dem anderen Hügel zu verbinden. Diesem Herzstrang müsse ich nun bis zum anderen Hügel folgen. Ich ging mit gemischten Gefühlen los und folgte dem Strang. Ich traf auf die erste Gruppe und fügte mich zwangsläufig ihren Regeln (von Herzen, denn ich folgte ja meinem Strahl des Herzens). Ich war solange bei dieser konkreten Gruppe, bis ich ihren Bereich durchquert hatte. Als ich sie verliess, hatte ich viel gelernt und einiges an mir geheilt. So kam ich zur nächsten Gruppe, wo das Gleiche geschah. So ging es weiter, Gruppe um Gruppe, Regelwerk um Regelwerk. Und je weiter ich kam, desto stärker wurde die Verbindung zum anderen Hügel und desto klarer wurde meine Route. Mit der Zeit merkte ich, dass ich nicht mehr alleine war. Ich erkannte weitere Menschen, welche ihren eigenen Strahlen folgten. Wir trafen uns alle beim anderen Hügel.  
 
Was heisst dies nun konkret? Wir können Regeln und Gebote nicht vermeiden. Unser Weg führt immer durch Gesellschaften oder Gruppen, welche jeweils Regeln und Gebote aufstellen und umsetzen. Es geht nicht anders – die Gruppen sind so nah zusammen, dass keine Möglichkeit besteht, ihnen auszuweichen. Wir müssen also hindurch. Und es ist unser Herz, welches den konkreten Weg kennt. Wir vermeiden also nicht Gruppen mit Regeln, sondern wir befassen uns mit ihnen. Haben wir bei einer Gruppe alles erkannt, dann gehen wir zur nächsten.  
 
Wie können wir nun die Eingangsfrage zusammengefasst beantworten? Enthaltsamkeit als solche fördert weder unseren eigenen Weg noch behindert sie ihn. Gebote dieser Art gehören in die unzähligen Regelwerke, welche die Menschheit sich selbst auferlegt, manchmal gut gemeint aber mitunter auch als hinterhältige Falle, um andere Menschen an sich zu binden. Gruppen mit solchen Regelwerken lassen sich jedoch nicht vermeiden. Wir müssen hindurch – immer dem Herzen folgend, lernend und heilend. So geraten wir in neue Situationen, die wir ebenfalls durchlaufen müssen. Konkret heisst dies, dass wir manchmal enthaltsam und asketisch leben, dann aber wieder nicht. Wir erachten nichts als eine gegebene Notwendigkeit in unserem Leben. Dabei dürfen natürlich gewisse Handlungen durchaus das ganze Leben lang konsistent bleiben. Dies ist aber immer die Folge eines Herzentscheides und nicht deshalb, weil wir konkrete Regeln befolgen. Also: Nicht die Handlung als solche beziehungsweise den Verzicht darauf ist wichtig, sondern die Motivation, die dazu geführt hat.