Es
gibt unzählige Vorschläge, wie eigene Wege unterstützt werden könnten. Dazu
gehören Empfehlungen, welche Enthaltsamkeit raten. Gemeint damit ist nicht nur,
dass man sich sexuell zurückhalten oder ganz auf Sex verzichten sollte, sondern
auch, dass man wenig isst, asketisch lebt, keine Drogen nimmt, das Vergnügen
meidet und dergleichen. Meist stehen zwei Begründungen hinter dieser Idee: 1)
Solche Aktivitäten rauben Energie, welche dann für den eigenen Weg nicht mehr
zur Verfügung steht. Dies kann man sich wiederum nicht leisten, denn für den
eigenen Weg benötigen wir unsere gesamte Energie. 2) Solche Handlungen lenken
uns ferner von unserem Weg ab. Im besten Fall haben wir dabei nicht mehr die
volle Aufmerksamkeit zur Verfügung und im schlechtesten verpassen wir unseren
Weg sogar gänzlich. In anderen Worten: Wir müssen achtsam sein, überall lauern
Gefahren oder Versuchungen, ständig sind wir irgendwelchen Prüfungen
unterworfen und bestehen wir diese nicht, dann können wir unseren Weg
vergessen. Es wird dann unmöglich die Liebe, die Erleuchtung oder Gott zu
finden, wir müssen allenfalls sogar in einem anderen Leben dafür büssen oder
sonstige Strafen auf uns nehmen. Unser Verzicht ist also ein notwendiges Opfer,
welches wir erbringen müssen, damit wir weiterkommen. Den Versuchungen gilt es
also mit allen Mitteln zu widerstehen.
Kann
das sein? Stimmt dies wirklich? Viele sagen ja. Immerhin ist diese Vorstellung
ein wichtiger Bestandteil zahlreicher spiritueller Traditionen oder Religionen.
Regeln über Essen oder Sexualität sind fast überall anzutreffen – und meistens
geht es dabei um Verzicht auf die eine oder andere Art. Wurde hier also etwas
Wichtiges erkannt oder vielleicht doch nicht? Die wichtige Frage: Muss man, um
den eigenen Weg zu gehen, enthaltsam leben?
Obwohl
häufig und prominent gestellt, geht diese Frage meines Erachtens an der Essenz
von eigenen Wegen vorbei. Diese Frage stellt sich also gar nicht. Ich sehe es stattdessen
eher so: Es gibt keine konkreten Handlungen, welche als solche unseren Weg
fördern oder behindern könnten. Jede einzelne Aktivität kann entweder auf
unserem Weg sein oder eben auch nicht. Alle Handlungen sind diesbezüglich
wertneutral, sie können nicht als Massstab herangezogen werden. Das gleiche
gilt natürlich für den Verzicht auf etwas – nicht handeln ist in diesem Sinne
das gleiche wie handeln. Konkret kann zum Beispiel Sex auf dem eigenen Weg
sein, aber es kann auch von diesem ablenken. Umgekehrt kann kein Sex auf dem eigenen Weg sein, oder aber
auch ablenken.
Es
ist demnach nicht die Handlung als solche, sondern unser Herz, welches
entscheidet, was auf unserem Weg liegt und was nicht. Weil unser Herz nur im
Jetzt entscheiden kann, sind sowieso solche grundsätzlichen Entscheide
unmöglich – zum Beispiel ob eine bestimmte Handlung nun zu uns passt oder nicht.
Wir können uns also nur jetzt für oder gegen eine Handlung entscheiden – morgen
müssen wir erneut entscheiden – und womöglich ist dann alles anders. Wir können
dies im Voraus nicht wissen. Unser Weg ist nicht voraussagbar. Und dies gilt
sowohl für Handlungen wie auch für den Verzicht darauf. Verzichte ich heute
(von Herzen!), dann ist es möglich, dass ich dies morgen nicht mehr tue (wieder
von Herzen!).
Hierzu
passt auch das Thema des letzten Blogs (vgl. hierzu den letzten Blog Eintrag
vom 31.12.15): Dort postulierte ich, dass absolute Aussagen den Fluss der Liebe
behindern können. Enthaltsamkeitsgebote sind nun genau solche absoluten
Aussagen. Es wird etwa gesagt: „Mach es genau so, dann bleibst du auf deinem
Weg.“, aber eine solche absolute Regel behindert den eigenen Weg. Dies deshalb,
weil die Liebe nicht mehr fliessen kann und der eigene Weg sehr viel damit zu
hat, dem Fluss der Liebe zu folgen. Der Zweck der Regel wird also verfehlt.
Wahrscheinlich ist dies sogar eine bewusste Taktik, denn solche Aussagen
stammen oft von organisierten Religionen oder Gemeinschaften, die ihre Mitglieder
damit bei der Stange halten. Solche Aussagen sind also eine Falle: Geködert
wird mit Aussagen über den eigenen Weg (oder Gott, die Liebe, Erleuchtung und
so weiter) und sind die Menschen einmal angezogen, schnappt die absolute
Aussage zu und behindert in der Folge den wirklich eigenen Weg. Hat man dann
eine Weile diese Opfer auf sich gebracht, hat man also schon viel investiert,
dann schwindet das Interesse immer mehr, die Regelwerke der absoluten Aussagen
zu hinterfragen und man bleibt bei der Organisation.
Wie
sieht es der Schamane? Alles, was er im Leben antrifft, gehört zu seinem Weg.
Alles kann demnach dazu dienen, dass er sich selbst beziehungsweise seinen Weg
erkennt. Im Gewühl des Lebens – und alles darf dazugehören – erkennt er, wo
noch ein Heilungsbedarf besteht. Er heilt und arbeitet an sich und gelangt so
in eine neue Situationen, die wiederum bei ihm Dinge auslöst. Und immer
entscheidet er mit dem Herzen: Ob er Sex hat oder nicht, entscheidet er mit dem
Herzen, ob er etwas isst oder nicht ebenfalls, genauso, ob er sich einer
Vergnügung hingibt oder nicht. Und weil mit dem Herzen entschieden worden ist,
ist die Handlung oder Aktivität auf seinem Weg – es kann nicht anders sein. Es
ist also nicht die Handlung als solche, die eine Rolle spielt, sondern die
Motivation hinter der Handlung.
Soweit
die Überlegung. Aber – dies meine Beobachtung – ist das reine Überlegen nicht
genug. Ich fragte deshalb meine spirituelle Helferin, was sie zu diesem Thema
findet. Hier das Resultat meiner schamanischen Reise: Ich sah mich auf einem
Hügel. Um mich herum lag eine riesige Ebene, vollständig mit Menschen gefüllt,
aufgeteilt in unzählige Gruppen. Alle Menschen waren daran, irgendwelche Regeln
ihrer jeweiligen Gruppe zu befolgen: Beispielsweise Mönche, welche Keuschheitsgebote
ablegten, Religionsgemeinschaften, welche Essensregeln aufstellten, aber auch Gesellschaften,
welche zu Vergnügen aufriefen. Man bekam den Eindruck, dass alle Menschen vor
allem damit beschäftigt waren, die jeweiligen Regeln einzuhalten. Ab und zu
schauten Mitglieder einzelner Gruppen zu mir, hiessen mich in ihrer Gruppe
willkommen, allerdings unter der Voraussetzung, auch ich würde ihre Regeln
einhalten. Ich traute mich aber nicht in die Menschenmasse und sass auf diesem
Hügel und fühlte mich einsam. Ohne die Regeln einer Gruppe anzunehmen, würde
ich wohl diesen Hügel nie verlassen können, dachte ich mir. Ich beobachtete
nun, wie andere Menschen durch die Menschenmassen zu gehen versuchten aber ohne
die Regeln einzuhalten. Diese wurden schnell erkannt und buchstäblich
zerfleischt. Dies bestätigte mich: Es gab offenbar wirklich kein Durchkommen. Meine
Helferin fand nun, ich dürfe trotzdem nicht mehr lange auf diesem Hügel sitzen
und zuschauen – ich müsse doch durch diese Menschenmenge hindurch und zwar zu
einem zweiten Hügel, welcher sich auf der anderen Seite der Menschenmasse
befand. Sie forderte mich dazu auf, mich übers Herz mit dem anderen Hügel zu
verbinden. Diesem Herzstrang müsse ich nun bis zum anderen Hügel folgen. Ich
ging mit gemischten Gefühlen los und folgte dem Strang. Ich traf auf die erste
Gruppe und fügte mich zwangsläufig ihren Regeln (von Herzen, denn ich folgte ja
meinem Strahl des Herzens). Ich war solange bei dieser konkreten Gruppe, bis
ich ihren Bereich durchquert hatte. Als ich sie verliess, hatte ich viel
gelernt und einiges an mir geheilt. So kam ich zur nächsten Gruppe, wo das
Gleiche geschah. So ging es weiter, Gruppe um Gruppe, Regelwerk um Regelwerk.
Und je weiter ich kam, desto stärker wurde die Verbindung zum anderen Hügel und
desto klarer wurde meine Route. Mit der Zeit merkte ich, dass ich nicht mehr
alleine war. Ich erkannte weitere Menschen, welche ihren eigenen Strahlen
folgten. Wir trafen uns alle beim anderen Hügel.
Was
heisst dies nun konkret? Wir können Regeln und Gebote nicht vermeiden. Unser
Weg führt immer durch Gesellschaften oder Gruppen, welche jeweils Regeln und
Gebote aufstellen und umsetzen. Es geht nicht anders – die Gruppen sind so nah
zusammen, dass keine Möglichkeit besteht, ihnen auszuweichen. Wir müssen also hindurch.
Und es ist unser Herz, welches den konkreten Weg kennt. Wir vermeiden also
nicht Gruppen mit Regeln, sondern wir befassen uns mit ihnen. Haben wir bei
einer Gruppe alles erkannt, dann gehen wir zur nächsten.
Wie
können wir nun die Eingangsfrage zusammengefasst beantworten? Enthaltsamkeit
als solche fördert weder unseren eigenen Weg noch behindert sie ihn. Gebote
dieser Art gehören in die unzähligen Regelwerke, welche die Menschheit sich
selbst auferlegt, manchmal gut gemeint aber mitunter auch als hinterhältige
Falle, um andere Menschen an sich zu binden. Gruppen mit solchen Regelwerken
lassen sich jedoch nicht vermeiden. Wir müssen hindurch – immer dem Herzen
folgend, lernend und heilend. So geraten wir in neue Situationen, die wir
ebenfalls durchlaufen müssen. Konkret heisst dies, dass wir manchmal enthaltsam
und asketisch leben, dann aber wieder nicht. Wir erachten nichts als eine gegebene
Notwendigkeit in unserem Leben. Dabei dürfen natürlich gewisse Handlungen durchaus
das ganze Leben lang konsistent bleiben. Dies ist aber immer die Folge eines
Herzentscheides und nicht deshalb, weil wir konkrete Regeln befolgen. Also: Nicht
die Handlung als solche beziehungsweise den Verzicht darauf ist wichtig,
sondern die Motivation, die dazu geführt hat.