Samstag, 22. Oktober 2016

Erlebnisse im Aussen - Themen im Innen

Oft sind es Erlebnisse im Aussen, welche Wege zu Themen im Innen aufzeigen. Vor kurzem unternahm ich alleine eine Reise in die spanische Extremadura und nach Galizien, einerseits um in der Einsamkeit zu wandern und andererseits um uralte Felszeichnungen aus der Steinzeit zu suchen, dessen Symbole und Standorte für mich jeweils einen schamanischen Inhalt haben. Auf dieser Reise erlebte ich ein Teil der Essenz meines gegenwärtigen Themas: Barrieren im Fluss der Liebe. Einige dieser Erlebnisse möchte ich schildern, denn sie zeigen zugleich das Vorgehen des Schamanen, wo alles im Aussen eine Bedeutung erhält.
 
An einem frühen Morgen wollte ich von einem Hügel aus den Sonnenaufgang anschauen. Der Hügel war aber voller Gestrüpp, so dass ich nicht von jeder Stelle aus einen geeigneten Blick hatte. Auf dem Weg zu einem vielversprechenden Ort begegnete ich einer Mauer, welche an einer Stelle eingebrochen, und eine Lücke entstanden war. Ich merkte mir diesen Ort, ging aber weiter – vielleicht würde ich ja einen besseren finden. In die eine Richtung fand ich aber keinen, kehrte zurück und kurz bevor ich zur Lücke in der Mauer kam, sah ich zwei Hirsche durch diese springen. Ich ging an der Lücke vorbei, fand dann in die andere Richtung einen Ort, wo ich gut durch das Gestrüpp sah, beobachtete den Sonnenaufgang und kam dann ein drittes Mal zur Lücke. Dieses Mal sonnte sich eine giftige Schlange, eine Viper, auf den Steinen neben der Lücke. Ich ging an ihr vorbei durch die Lücke und sah, dass die Mauer ein kleines verlassenes Gehege umschloss. Ein grosser Stein war darin die einzige Stelle ohne Gestrüpp. Als ich auf diesen Stein stand, fiel mein Schatten direkt auf die Lücke in der Mauer. Ich interpretiert: Es gibt Lücken in den Barrieren im Fluss zur Liebe. Hirsche sind für viele Schamanen Begleiter beim Übertritt von der materiellen Welt – Schamanismus wird mir helfen, diese Lücken zu finden. Da es zwei Hirsche waren, werden Beziehungen wichtig, die Barrieren im Fluss der Liebe zu durchbrechen. Die giftige Schlange zeigte aber, dass man vorsichtig vorgehen muss und weil Schlangen sich häuten, symbolisieren sie für den Schamanen Transformation. Es wird also Arbeit und Entwicklung an mir selbst brauchen. Ich gelange an diese Lücken, wenn ich die dunkeln Seiten in mir selbst bearbeite, wie schliesslich der Schatten zeigte.
 
Von der Extremadura ging ich über das spanisch-portugisische Grenzgebiet Richtung Galizien. An einem Morgen, zufälligerweise zur Zeit des Sonnenaufgangs, kam ich zu einer Kapelle mit dem Namen Nossa Senhora de la Luz, übersetzt heilige Jungfrau des Lichtes, welche sich auf einem Hügel, gerade noch in Portugal, aber gleich auf der Grenze zu Spanien befand. Neben der Kapelle, hatte es einen Grenzstein, einen Vermessungspunkt und einen alten Wachturm. Mit der aufgehenden Sonne war dieser Hügel ein wahrer Ort des Lichtes und alle Grenzeinrichtungen wurden beschienen. Es ging darum – so meine Interpretation – Barrieren im Fluss der Liebe mit Licht beziehungsweise Liebe zu begegnen.
 
Später in Galizien ging ich wandern in der Nähe von Fisterra (übersetzt: Ende der Erde), einer Ortschaft welche gleichzeitig das endgültige Ende des Jakobweges darstellt, für alle die noch etwas weiter als Santiago de Compostela gehen wollen. Bei meiner Wanderung kam ich zu einem Punkt, der sogar etwas weiter westlich als Fisterra war. Auf diesem Berg hatte es vor einer Sendeanlage ein Tor, auf dem als Graffiti in grossen Buchstaben übersetzt stand: „Der erste Tag des Restes deines Lebens.“ Ich musste – so interpretierte ich - gewissermassen meine Identität als „Jakob“, beenden, dann würde der Rest meines Lebens beginnen. Wie als Bestätigung stellte sich kurz danach der Reisekilometerzähler meines Autos ohne mein Hinzutun auf null und gleichzeitig stellte sich mein Telefon ab und wollte, dass ich es neu starte. Wir werden sehen: Um Liebe zu werden, werden wir vieles von unserer üblichen Identität aufgeben müssen.
 
Die Felszeichnungen die ich danach in Galizien fand schienen dies alles zu bestätigen. Auf den Felsen begegnete ich vor allem zwei Symbolen: Hirsche und konzentrische Kreise, mit einem zusätzlichen Strich, welcher die einzelnen Kreise von aussen nach innen durchquerte. Ich staunte: Wieder der Hirsch und wieder zu überwindende Barrieren. Manchmal waren diese konzentrischen Kreise auch miteinander verbunden. Ich interpretierte: Menschen sind zwar in Beziehungen miteinander verbunden, aber am Ende muss jeder seine eigenen Barrieren finden und abbauen.
 
 
                          
 
Beispiel von Felszeichnungen in Galicia.
 
Zur Erinnerung möchte ich noch auf die beiden bevorstehenden Kurse aufmerksam machen:
 
Mit Schamanismus ein persönliches Thema angehen, Obi Haus, Zürich, Samstag und Sonntag, 12. Und 13. November, 2016  http://www.obihaus.ch
Die schamanische Reise von Anfang an, ein Grundlagenkurs, Oberwiler Kurse, Oberwil bei Zug, Samstag, 19. November, 2016 http://www.oberwilerkurse.ch
 
Mehr Details zu den Kursen auf:
 
Neu sind Beratungen auch mit Skype möglich. Dies mag für alle interessant sein, welche einen zu weiten Weg nach Windisch haben.
 
 
 
 
 
 

Samstag, 3. September 2016

Auch bei Barrieren in der Liebe: Wir werden das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken

In vergangenen Posts habe ich oft über Barrieren in der Liebe gesprochen und wie diese auf der Ebene der Seele aufgebaut werden. Dieses Mal möchte ich das Modell von Bewusstseinselementen und Seelensträngen auf Liebesbarrieren anwenden und am Ende ein paar Erkenntnisse und Vorschläge daraus ableiten. Aufbauen möchte ich dies mit einer Folge von Thesen, begonnen mit einer Beschreibung des Seelenmodells gemäss meinem „Schamanisches Buch der Seele“:
 
Die Seele besteht aus Bewusstseinselementen: Die Seele ist Bewusstsein, welches in der Zeit ausgedehnt ist. Die Seele besteht diesem Modell aus einer Vielzahl von Bewusstseinselementen, welche sich auf Seelensträngen befinden und so auch Bestandteil von anderen Seelen sind. Diese Bewusstseinselemente lassen sich meist mit kurzen Sätzen formulieren, wie zum Beispiel „Rauchen tötet“, „Vitamine sind gesund“, „Kluger Rat: Notvorrat“. Ob diese Bewusstseinselemente wahr oder sinnvoll sind, spielt dabei keine Rolle. Unsere Seele ist die Summe von Abermillionen solcher Bewusstseinselemente.
 
Die Welt der Seelen ist als Netzwerk aufgebaut: Die einzelnen Seelen sind Knoten, bei denen die verbindenden Seelenstränge zusammenkommen. Veränderungen in einer Seele oder bei einem Seelenstrang haben deshalb immer Konsequenzen auf das ganze Netzwerk. Bewegt sich eine Seele Richtung Liebe, so werden andere Seelen mitgezogen.
 
Seelen erhalten ihre Energie entweder von der Liebe oder räuberisch von anderen Seelen: Im Seelennetzwerk bestehen Seelen und Seelenstränge, welche ihre Energie direkt von der Liebe erhalten. Räuberische und parasitische Seelen ernähren sich von diesen und dienen wiederum anderen als Energiequellen. Wir alle erhalten einen Teil unserer seelischen Energie direkt von der Liebe und einen anderen Teil räuberisch von anderen Seelen. Gehen wir den Weg des Herzens, so erhält unsere Seele jedoch einen immer grösseren Anteil direkt von der Liebe. Wir können nur dann anderen als seelische Energiequellen dienen, wenn wir seelische Wunden haben. Je mehr wir auf der Ebene der Seele heilen, desto weniger dienen wir anderen als Energiequelle.
 
Unsere Aufmerksamkeit baut unsere Seele auf: Die Zusammensetzung unserer Seele können wir mit unserer Aufmerksamkeit beeinflussen. Diejenigen Bewusst-seinselemente, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken, werden als Folge ein Teil unserer Seele. Sind wir beispielsweise oft und nahe mit bestimmten Menschen zusammen und schenken ihnen deshalb viel Aufmerksamkeit, dann übernehmen wir Bewusst-seinselemente dieser Personen, egal, ob wir nun diese konkret formuliert haben oder nicht. Im Extremfall können wir sogar fast die andere Person werden. Eine solche Übertragung geschieht verstärkt, wenn die andere Person in einer schlechten Verfassung oder sogar am Sterben ist. Die Bewusstseinselemente führen dann so etwas wie ein Eigenleben, lösen sich von der ersten Person und suchen sich neue Träger. Mit unserer Aufmerksamkeit können wir nicht nur die Bewusstseinselemente anderer Personen übernehmen, dies geschieht genauso bei Tieren, Pflanzen, Landschaften, materiellen Güter aber auch für Philosophien wie etwa Kapitalismus, Religionen und ähnliches.
 
Der Fluss der Liebe wird von absoluten Bewusst-seinselementen unterbrochen: Barrieren im Fluss der Liebe werden von „absoluten“ Bewusstseinselementen aufgebaut. „Flexible“ Bewusstseinselemente unterbrechen hingegen Fluss nicht oder zumindest viel weniger. Beispiele von absoluten Bewusstseinselementen sind:  „Die Familie hat erste Priorität“. „Ausländer sind schlecht.“ „Haus und Hof müssen in der Familie bleiben“. „Nur leibliche Eltern sind gute Eltern“. „Männer sind schuld an den Problemen der Welt“.  Beispiele von flexiblen Bewusstseinselementen sind: „Prioritäten werden situativ entschieden.“ „Jeder Mensch hat etwas Besonderes an sich.“ „Die Qualität der Bezugsperson hängt von der Qualität der Beziehung ab“. „Menschen aller Art haben viele der Probleme der Welt geschaffen.“  „Nicht andere sind an meinen Problemen schuld, sondern ich suche sie in mir selbst.“ 
 
Barrieren im Fluss der Liebe sind eine Art, Energie aus anderen Seelen zu ziehen: Stösst eine Seele gegen eine Barriere, so entsteht eine Energieübertragung von der aufprallenden Seele zu derjenigen hinter der Barriere. Obwohl die Seele hinter der Barriere auf diese Art profitiert, muss sie selbst Energie aufwenden, um die Barriere aufrecht zu erhalten. Zusätzlich verhindert die eigene Barriere den Zugang zur Energie der Liebe, diese fliesst weniger gut und als Folge verliert die Seele hinter der Barriere deshalb diese Quelle. Die seelische Energiebilanz der Seele hinter der Barriere ist deshalb oft negativ. Statt die Barriere dann abzubauen, wird diese oft verstärkt, in der meist unbewussten Hoffnung, auf diese Art mehr Aufprallenergie zu erhalten. Dies kann zwar durchaus die Aufprallenergie erhöhen, führt aber gleichzeitig zu höheren energetischen Kosten, um die Barriere aufrecht zu erhalten und zusätzlich fliesst noch weniger Liebesenergie als vorher. So kann ein wahrer Teufelskreis der verpufften Energie entstehen. Aber auch für die aufprallende Seele kann ein energetischer Teufelskreis entstehen: Diese verliert beim Zusammenstoss mit der Barriere manchmal so viel Energie, dass sie sich nicht mehr von der Barriere weg bewegen kann. Bleibt sie dort, richtet sie automatisch Aufmerksamkeit auf die Barriere, verliert noch mehr Energie, kann sich noch weniger wegbewegen und so weiter… Nicht nur verliert die aufprallende Seele Energie, mit ihrer Aufmerksamkeit auf der Barriere, hilft sie sogar, diese aufrecht zu erhalten.
 
Eine Zwischenbemerkung: Grenzen sind wichtig, aber nicht auf der Ebene der Liebe: Damit keine Missverständnisse entstehen, ist an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung wichtig: Wir müssen uns durchaus abgrenzen. Wir haben beispielsweise einen von anderen Menschen separaten Körper, sowie eigene Gefühle, welche nicht die gleichen sind, wie diejenigen anderer Menschen. Auf diesen Ebenen ist es durchaus richtig, sich abzugrenzen. Auch auf der Ebene der Seele können wir zu einem gewissen Grad individuell sein, sofern dies eben nicht mit besagten Absolutheiten den Fluss der Liebe unterbricht. Dieser Fluss darf nicht unterbrochen werden, wenn wir unseren Weg des Herzens gehen möchten. Die Kunst ist es also, die Grenzen auf der richtigen Ebene zu setzen.
 
Konsequenzen für den Umgang mit Barrieren in der Liebe: Um die Teufelskreise verlorener Energie zu vermeiden (und um überhaupt unseren eigenen Weg des Herzens gehen zu können – wie soeben gesagt), ist es entscheidend, dass wir einerseits selbst möglichst keine Barrieren in der Liebe aufbauen und diese – wenn wir sie antreffen – möglichst umgehen. Ich unterscheide deshalb zwei Fälle: Entweder wir sind hinter der Barriere, wir haben also selbst eine aufgebaut oder wir stossen gegen eine solche eines anderen Menschen.
 
Wir sind innerhalb einer Barriere: Auch wenn wir wissen, dass je mehr wir unseren eigenen absoluten Aussagen Aufmerksamkeit schenken, unsere Barrieren umso stärker werden und wir gleichzeitig den Zugang Energie der Liebe verlieren, ist es enorm schwierig, dies im Einzelfall festzustellen. Als Indiz können wir beispielsweise überprüfen, ob es uns noch möglich ist, unser Herz für Menschen zu öffnen, die vollkommen andere Ideen oder Philosophien haben. Finden wir Fälle, wo dies nicht geht, dann befinden wir uns wahrscheinlich hinter einer Barriere. In diesem Fall müssen wir versuchen die absoluten Bewusstseinselemente zu entdecken, welche diese Barriere aufbauen und diese relativieren. (Beispiel: Können wir unser Herz nicht für einen Kriminellen öffnen, dann haben wir vielleicht absolute Bewusstseinselemente wie: „Kriminelle verdienen keine Sympathie.“ Dieses relativiert könnte heissen: „Auch das Herz eines Kriminellen möchte geweckt werden.“) Eine zweite Möglichkeit ist, herauszufinden, wie wir unsere Handlungen begründen – auch solche, die wir als „gut“ taxieren - und suchen in diesen Begründungen nach absoluten Bewusstseinselementen und relativieren diese. (Beispiel: Wir beobachten, wie wir schwachen Menschen helfen. Das absolute Bewusstseinselemente könnte heissen: „Schwachen Menschen muss geholfen werden.“ Relativieren wird dieses, heisst es vielleicht: „Je nach Situation helfe ich anderen Menschen.“)
 
Wir stossen von aussen auf eine Wand: Wenn wir von aussen auf eine Wand oder Barriere stossen, dann richten wir automatisch unsere Aufmerksamkeit auf diese Barriere und auf die Seele die dahinter weilt. Mit dieser Aufmerksamkeit helfen wir sogar die Barriere etwas zu verstärken. Auch wenn wir von aussen auf eine solche Barriere stossen, ist es deshalb wichtig, eine Analyse der Bewusstseinselemente vorzunehmen, welche diese Wand aufbauen. Diese haben wir auch in uns selbst, denn sonst hätten wir die Barriere nicht bemerkt. Nachdem wir sie in uns selbst gefunden haben, relativieren wir diese, so wie oben dargestellt. Auf den ersten Blick mag es zwar oft nicht so wirken, als hätten wir diese absoluten Bewusstseinselemente auch in uns, aber wenn wir ganz tief suchen, meist schon. Ein Beispiel: Vielleicht haben wir das oben dargestellte Bewusstseinselement „Man muss schwachen Menschen helfen.“ nicht, obwohl wir an diese Barriere stossen gestossen sind. (Wir stossen beispielsweise daran, weil die Person nicht mehr offen für eine Beziehung zu uns ist, weil sie vollkommen absorbiert ist mit der Unterstützung von schwachen Menschen.)  Das gemeinsame tiefer liegende Bewusstseinselement ist dann etwa: „Ich muss alles tun, damit ich anderen gefalle.“ Dieses Bewusstseinselement relativiert heisst dann etwa: „Ich tue Dinge von Herzen, ob sie anderen gefallen oder nicht, spielt dabei keine Rolle.“
 
Ein Fazit: Sowohl wenn man auf eine Barriere im Fluss der Liebe stösst, wie auch, wenn man selber eine aufbaut, dann gilt es die absoluten Aussagen zu finden, welche dahinter stecken und diese zu relativieren.
 
Die Frage, wieso Menschen überhaupt diese Wände aufbauen wird eine Geschichte für ein anderes Mal.
 
 
Barrieren im Fluss der Liebe werden durch absolute Bewusstseinselemente aufgebaut.

Samstag, 11. Juni 2016

Ungleichgewichte

Wer wünscht sich das nicht: Harmonie, Ankommen, Gleichgewicht. Alle sprechen davon. Alle wollen dorthin. Auch ich habe davon gesprochen. Aber ist es richtig? Müssten wir vielleicht nicht das Gegenteil anstreben, uns also eher in Ungleichgewichte begeben? Ich möchte hier zeigen, dass Ungleichgewichte wichtig sind, ja, dass es wohl sogar ohne Ungleichgewichte gar nichts gäbe, dass unsere Existenz, unser Weg, unsere Verbindungen untereinander, unsere Seele, unser Körper, dass dies alles nicht existieren würde, hätten wir keine Ungleichgewichte. Und dass wir – wollen wir Liebe werden – uns voll in diese Ungleichgewichte begeben müssen. Wir müssen also Ungleichgewichte suchen, nicht Gleichgewichte. Der Weg der Liebe entspricht so einer Rutschbahn mit ungewissem Ausgang und nicht der Harmonie, des Ankommens oder des Gleichgewichts.
Denken wir hierfür nun alle Ebenen durch und beginnen mit dem Körper: Atmen, Blutkreislauf, Nervenbahnen, Essen, Verdauen, Sinnesorgane – jeder einzelne aller körperlichen Abläufe beruht auf Ungleichgewichten, auf dem Prinzip, dass es an einer Stelle mehr von etwas hat als an einer anderen, und dass dann ein Fluss entsteht, von dort wo es mehr hat zu dort wo es weniger hat. Im Blut hat es beispielsweise an einer Stelle mehr Sauerstoff und dieses wird an die Muskeln abgegeben (mit Hilfe von Ungleichgewichten), wonach im Blut weniger Sauerstoff vorkommt. Dieses wird dann in der Lunge wieder neu angereichert – wieder dank Ungleichgewichten. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren auch alle anderen Abläufe im Körper.  
Gehen wir einen Schritt weiter: Auch die Aura als ein Ort der Gefühle benötigt Ungleichgewichte. In einer gesunden Situation ist ein Gefühl etwas, das kommt und geht, gefolgt von einem anderen Gefühl, welches ebenfalls kommt und geht. Damit aber ein bestimmtes Gefühl entstehen kann, muss ein anderes zuerst ab ebnen, es muss gewissermassen eine geringere „Gefühlsdichte“ entstehen, damit sich das neue, stärkere oder dichtere Gefühl bemerkbar machen kann. Dies ist ein klassisches Spiel von Ungleichgewichten. Situationen hingegen, in denen bestimmte Gefühle nicht in diesem Fluss sind, wir also längere Zeit das gleiche Gefühl mit uns tragen, sind genau Zustände, in denen wir auf unserem Weg steckengeblieben sind – eine Depression etwa – nicht gerade wünschenswert. Damit wir uns auf der Ebene der Aura entwickeln können, benötigen wir also Ungleichgewichte. Man kann es auch noch anders sehen: Gefühle sind Zeiger auf unserem Weg. Dank ihnen sehen wir, ob wir uns bewegen (Trauer: Wir verlassen etwas; Angst: Wir gehen auf etwas Neues zu) oder ob wir uns von unserem Weg entfernt haben (Wut: Wir sind zu nah an etwas; Sehnsucht: Wir sind zu weit weg von etwas). Dies funktioniert nur mit Ungleichgewichten. Bewegung oder auch nur schon das Feststellen eines Standortes bedingt Ungleichgewichte: Es gibt Orte, wo wir sind und es gibt Orte, wo wir nicht sind.
Nicht anders sieht es auf der Ebene der Seele aus: Der Aufbau unserer Seele wird stark von unserer Aufmerksamkeit bestimmt. Auf dieser Ebene werden wir gewissermassen das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Richten wir unsere Aufmerksamkeit nur auf etwas Einziges – dies wäre der Zustand des Gleichgewichts – dann wird die Seele sehr eingeschränkt (wir sind in diesem Sinne nicht mehr voll und ganz uns selbst). Zudem kann sich die Selle nicht mehr entwickeln, denn ein sich ständig erweiterndes Bewusstsein – ein Merkmal des eigenen Weges – ist nur dann möglich, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Neues lenken können, was wiederum nur dann funktioniert, wenn anderes in den Hintergrund gerät. Und dies erfordert eben Ungleichgewichte.
Auch die Liebe – die nächste Stufe in dieser Folge – ist ein Fluss und nicht eine statische Angelegenheit. Die Liebe kann aber nur fliessen, falls Orte gibt, wo die Liebe stärker ist, als Orten, wo sie schwächer ist. Und hierfür sind wieder Ungleichgewichte notwendig.
Alle diese Dinge könnten also ohne Ungleichgewichte nicht existieren. Ja, wahrscheinlich kann überhaupt rein gar nichts existieren, gäbe es keine Ungleichgewichte. Oder, umgekehrt gesagt, gäbe es irgendwo ein Gleichgewicht, dann würde sich dort alles auflösen. Immer würde etwas Positives von etwas Negativem aufgelöst. Als mathematischer Vergleich würde immer die Eins die Minuseins, die Zwei die Minuszwei und so weiter auslöschen. So würde eine Zahl um die andere fallen. Entsteht also irgendwo ein Gleichgewicht, würde dieses in der Folge alles andere auslöschen. Diese Ausbreitung des Nichts geschähe wohl rasend schnell – vermutlich sogar mit Lichtgeschwindigkeit… Also: Die Tatsache, dass es Dinge gibt, beweist, dass es Ungleichgewichte hat. Oder, umgekehrt, diese Ungleichgewichte sind notwendig, damit es Dinge gibt.
Denkt man dies nun weiter, könnte man wohl sogar sagen, dass „Ungleichgewicht“ die höchste Stufe überhaupt ist, denn ohne Ungleichgewicht gäbe es gar nichts anders. Existenz (egal von was) bedingt Ungleichgewicht. So gesehen ist die Qualität „Ungleichgewicht“ der Liebe und allem anderen übergeordnet.  
Was heisst dies praktisch? Wollen wir uns in den Fluss der Liebe begeben, dann müssen wir unsere Bestrebung nach Gleichgewicht loslassen. Obwohl wir diese Sehnsucht haben, führt sie nirgends hin. Und finden wir trotzdem ein Ort des vermeintlichen Gleichgewichts, dann ist dieses wohl eine Illusion, eine Art Stau im Fluss der Dinge, analog etwa zu einem Staudamm. Der See hinter dem Damm mag zwar ruhig wirken, ist aber nicht wirklich im Gleichgewicht. Die Ruhe kann nur mit der Kraft des Dammes erhalten werden und früher oder später wird der Damm überspült oder er bricht.
Gleichgewichte, Ankommen, Harmonie sind solche Stauseen. Sie sind Illusionen. Unsere Aufgabe ist es stattdessen, die Staumauern zu erkennen, sie loszulassen und uns ins Ungleichgewicht des Flusses zu wagen. Und wie schon gesagt – daraus folgt eine Reise ins Ungewisse. Und es ist dann unsere eigene Reise, wenn (und das muss immer wieder erwähnt werden) wir unsere Entscheidungen mit dem Herzen fällen.
Also, Harmonie, Ankommen und Gleichgewichte gibt es nicht. Wir suchen sie deshalb nicht, sondern wir müssen uns mit dem Herzen in die Ungleichgewichte begeben. Dann sind wir im Fluss der Liebe, einem Fluss, wo wir nicht wissen, wohin er geht und wohin wir dabei gelangen werden. Vermutlich kommen wir aber nie ins Gleichgewicht, denn würden wir das, dann würden wir uns und damit auch alles andere auflösen. Und dies auf allen Ebenen: Körper, Aura, Seele, Liebe…
 



Alles Fliessen benötigt Ungleichgewichte...
 
 
 
 
 
 

Donnerstag, 28. April 2016

Ein Fiat Panda mit Schäden

Ferien. Vor zwei Wochen flog ich nach Rom und mietete dort ein Auto. Nicht zum ersten Mal: Meistens gestalte ich auf diese Art und Weise meine Reisen: Ich miete ein Auto, fahre an schöne Orte, übernachte meist sogar darin, wandere tagsüber, suche alte archäologische Stätten oder Kraftorte, sinniere über mein Leben oder über die nächsten Schritte nach. Oft erlebe ich dabei Geschichten, die mit mir und meinen Themen zu tun haben und Erkenntnisse dazu liefern. Und oft ist auch das Auto daran beteiligt. Diesmal war ein es ein silbergrauer Fiat Panda.  
Vorweg: Ich hatte eine Versicherung abgeschlossen, welche mein Selbstbehalt auf null setzen müsste, sollte ich unterwegs ein Schaden verursachen. Mit diesem Wissen, wird die nachfolgende Geschichte nicht sehr plausibel wirken. Aber oft sind genau dies die Geschichten, welche die interessantesten Erkenntnisse ergeben, dann also, wenn man ehrlich zu sich sein kann und ein Problem wahrnehmen kann, obwohl es keine logische Basis hat. In diesem Fall müssten also Schäden am Auto kein Thema sein. Dennoch: Schon im Parkhaus des Flughafens erkannte ich zwei ziemlich offensichtliche Schäden, die nicht protokolliert waren. Der Angestellte führte einen davon etwas widerwillig auf und erklärte mir, der andere Schaden gelte nicht, weil die Rückseite des Autos schon bei der hinteren Türe beginne und dort sei ja ein Schaden vermerkt. Ich glaubte ihm. Ich fuhr los, dankbar, dass alles geklappt hatte, voller Freude, über was ich alles erleben würde. Es ging aber nicht lange, dann merkte ich, dass auch die Frontscheibe einen bedeutenden Kratzer hatte, später entdeckte ich einen zweiten. Dann, jedes Mal, wenn ich das Auto anschaute, schien ein weiterer Schaden hinzuzukommen. Von jedem war ich überzeugt, dass er nicht von mir stammen konnte und schon dort gewesen sein musste.  Mit jedem Blick, mit jedem Tag, immer entdeckte ich neue Schäden. Einmal sah ich sogar, dass die Unterseite des Autos beschädigt war.
Dies störte mich. Ich war zwar versichert, aber es störte mich trotzdem. Denn das waren nicht meine Schäden, sondern ich war mit den Schäden meiner Vorgänger unterwegs. Gut, es kamen noch einige Schäden hinzu, die während der Reise entstanden sind, und zwar von Menschen in benachbart parkierten Autos unvorsichtig die Türen geöffnet hatten.  Aber auch diese Schäden waren nicht wirklich mein Verschulden. Es störte mich, obwohl dies alles kein Problem sein müsste, denn ich hatte ja die Versicherung. Aber doch: Ich konnte mich mit der Zeit kaum mehr dem Auto nähern oder in ihm fahren (der Kratzer auf der Frontscheibe…) ohne mir aller Schäden bewusst zu sein. Ich sah sie immer alle. Es ging fast nicht anders – war ich um das Auto herum, sah ich die Schäden.
Gleichzeitig war dies eine Reise, in der ich mir viel Zeit für die Natur nahm. Insgesamt fuhr ich nicht sehr weit, sondern wollte die Zeit nutzen, um die Blumen, Bäume und die Landschaften bewusst wahrzunehmen. In diesen Zeiten ging mein Herz auf und ich vergass das Auto mitsamt allen Schäden vollständig. Ich gelangte dabei in einen tiefen Frieden. Es war wunderbar. Bis zu dem Punkt, wo ich jeweils das Auto wieder erblickte.
Da musste ein Thema sein. Es ging wohl darum, dies mit einem schamanischen Bewusstsein anzugehen. Ich musste die Symbolik erkennen. In diesem Sinne waren die Schäden am Auto wahrscheinlich symbolisch für die Wunden, die ich im Verlauf des Lebens bekommen habe. Solche Wunden sind ja auch nicht mein Verschulden und oft stammen sie von unseren Vorfahren, die hier durch die Vorgängermieter symbolisiert wurden. Diese Wunden sind an und für sich kein Problem, wenn ich den Weg des Herzens gehe, denn die Versicherung könnte das Herz symbolisieren. Gehe ich dem Herzen nach, dann heilen die Wunden, werden weniger wichtig – so wie die Versicherung die Schäden am Ende zahlen wird. Und auf dieser Reise hatte ich ja in den naturverbundenen Zeiten das Herz besonders gut gespürt – so stark, dass ich dann jeweils nicht mehr an das Auto dachte.
War also die ganze Geschichte einfach eine Bestätigung für den Weg des Herzens, für das Vertrauen unterwegs, dass die Heilung zum jeweils richtigen Zeitpunkt kommt? Geht man also den Weg des Herzens muss man sich nicht ständig jeder Wunde bewusst sein. Wahrscheinlich war das eine Erinnerung an mich, meine Heilung und meine Themen voller Vertrauen anzugehen. Oder steckte noch mehr dahinter?
Ich würde es wohl bei der Autorückgabe erfahren. Zwei Wochen später war ich wieder im selben Parkhaus. Ein anderer Angestellter ging um das Auto herum, drückte auf seinem Tablet herum, und sagte mir dann: „Hier unterschreiben.“ Ich fragte: „Ist alles in Ordnung?“ Er: „Ja.“ Ich unterschrieb. War das nun so einfach? Hatte ich wirklich das Thema begriffen und war deshalb alles ok? Kaum in der Schweiz, kam jedoch eine Email mit der Abrechnung. Diese sei provisorisch und es stand ausdrücklich in fetten Buchstaben, es hätte neue Schäden. Nochmals das Dilemma von neuem: Einerseits Schäden, andererseits Versicherung. Ich hatte wohl etwas immer noch nicht begriffen. Wieder beschäftigte ich mich mit der Symbolik. Ich ging alles im Detail durch: War vielleicht das Parkhaus der Mutterleib, die Fahrt hinaus die Geburt, die Fahrt zurück der Tod, die ganze Reise also symbolisch für ein ganzes das Leben? Ich suchte nach weiteren Begebenheiten der Reise, die ich interpretieren könnte. Und bald kam eine weitere Email mit der definitiven Abrechnung. Die Schäden waren nun nicht verrechnet, nicht einmal mehr aufgeführt, nur kostete alles € 70 mehr als bei der Bestellung. Ich war zwar weitergekommen, aber die Geschichte war wohl immer noch nicht abgeschlossen.
Ein weiteres Mal ging ich daran. Wahrscheinlich waren genau die € 70 ein Hinweis, denn unterwegs hatte ich viel darüber nachgedacht, ob es nicht eine umfassendere Dimension gibt, als die Liebe. Hierzu muss ich kurz ausholen: In meinem „Schamanischen Buch der Seele“ hatte ich sechs Dimensionen erkannt: Unser Körper mit drei (vorwärts/rückwärts, links/rechts, oben/unten), die Aura mit vier (die Zeit kommt hinzu), die Seele mit fünf (zusätzlich das Bewusstsein) und schliesslich die Liebe mit sechs (die Entscheidung oder die Verbundenheit kommt hinzu). Wollten mir die € 70 nun auf Erkenntnisse über eine siebte Dimension hinweisen, also über einen Raum, der umfassender ist als die Liebe? Schon seit einigen Monaten überlege ich mir, ob das zusätzliche Element oder die zusätzliche Richtung, welche hinzukommt, nicht die „Kausalität“ sein könnte, oder anders gesagt, ein Verursachungsprinzip, also die Möglichkeit, dass etwas in etwas anderem etwas bewirkt. Mein Denken wehrt sich zwar oft dagegen, sagt, die Liebe müsste doch höher, umfassender sein als die Kausalität, aber etwas ganz anderes in mir findet das Gegenteil. Was ist nun? Wollte mir Geschichte mit den Schäden etwas zu dieser Frage mitteilen?
Die Schäden waren von anderen verursacht. Hier war also tatsächlich Kausalität im Spiel. Mit dem Auto, welches so gewissermassen die Kausalität symbolisierte, fuhr ich von Ort zu Ort, wo ich wiederum im Kontakt mit der Natur Liebe erlebte. Kann man daraus interpretieren, dass die Kausalität der Liebe übergeordnet ist? Das würde aber heissen, dass es auch Kausalität ohne Verbundenheit beziehungsweise ohne Liebe gibt. Dinge könnten auch dann einander beeinflussen, wenn sie nicht miteinander verbunden sind. Es müsste neben der Verbundenheit weitere Wege der Kausalität geben. Viele Gedanken, die es noch zu vertiefen gilt…
Mein Denken weigert sich noch, dass die Kausalität umfassender als die Liebe sein soll. Aber etwas tief in mir sagt: Doch das kann sein. Aber vielleicht lasse ich mich zu stark auf die Äste hinaus. Ich werde es sehen. Aber zumindest ist es interessant, darüber zu philosophieren. Und nur schon das hat die ganze Geschichte mit den Schäden sehr wertvoll gemacht. Eigentlich ist es dann egal, was sich am Ende herausstellt, falls überhaupt etwas. So gesehen bin ich dankbar für die Schäden und für die Geschichte. Im Rückblick wird es mir warm ums Herz, wenn ich an den grauen Fiat Panda denke. 

 


Donnerstag, 10. März 2016

Bescheidenheit



Bescheidenheit ist eine wichtige Qualität unseres eigenen Weges des Herzens Richtung Liebe. Aber wieso?

Wollen wir unseren eigenen Weg des Herzens gehen, dann müssen wir diesen zuerst wahrnehmen. Das Fenster zu unserem Weg ist wiederum unser Herz. Dieses muss offen sein, damit die Liebe, sprich unser Weg, hineinströmen kann. Wie bei einem Fenster, entsteht nur dann ein Luftzug von aussen nach innen, wenn der Druck aussen grösser ist als der Druck innen. In diesem Vergleich ist die Liebe ein Teil des Drucks von aussen, unser materielles Selbst, unser Ego beziehungsweise unsere Identität oder Form der Druck von innen. Je nach Druckverhältnis fliesst entweder unser Ego nach Aussen oder die Welt inklusive der Liebe nach innen. Das heisst, damit wir unseren Weg wahrnehmen, müssen wir unser materielles Selbst beziehungsweise unser Ego in den Hintergrund stellen. Oder etwas radikaler ausgedrückt: Wir müssen unsere Bedeutungslosigkeit anerkennen, also unsere Idee aufgeben, dass wir jemand sind, der wichtig ist. Dies erreichen wir, indem wir uns in Bescheidenheit üben. Mit Bescheidenheit lässt der Druck auf der Innenseite des Fensters nach, das Aussen mitsamt der Liebe strömt in uns und erst dann haben wir eine Chance die nächsten Schritte unseres Weges wahrzunehmen.

Natürlich – und das ist oben schon angetönt - strömt bei einem offenen Fenster nicht nur Liebe in uns. Alles, was ausserhalb ist, dringt in uns hinein. Nach wie vor müssen wir also entscheiden, was von alldem nun zu unserem Weg gehört und was nicht. Aber zumindest hat der eigene Weg die Möglichkeit sich bemerkbar zu machen, was er sonst gar nicht hätte. Das Aussortieren bleibt also. Aber lieber aussortieren und das Gute finden, als wegen einem zu starkem Ego das Gute gar nicht erst zulassen.

Vielleicht ist ein Vergleich mit Wasser passend: Als Eis haben wir eine konkrete Form, wir sind jemand, wir haben Status, ein Ego, eine Individualität. Aber als Eis sind wir auch starr, unbeweglich und abgegrenzt  gegenüber anderen und anderem. Wenn das Eis hingegen schmilzt und wir flüssiges Wasser werden, wir also unsere Form beziehungsweise unser Ego aufgeben, dann gibt uns dies die Beweglichkeit, einen Weg zu gehen. Flüssiges Wasser bewegt sich, Eis nicht. Flüssiges Wasser hat dafür keine Form, Eis schon – dies also die Gegensätze.  Um uns zu bewegen, müssen wir deshalb den Anspruch aufgeben, dass wir jemand sind. Und hier hilft Bescheidenheit.

Was heisst dies konkret?  Wie leben wir, ohne Identität, gewissermassen, ohne zu existieren? Wir leben von Herzen und ignorieren dabei alles, was uns normalerweise eine äussere Form gibt: Wir geben unsere Persönlichkeit, unsere Konditionierung, unsere kulturelle Prägung, unsere Rollen, unsere Meinungen, unsere Urteile auf. Sicher, wir müssen nach wie vor einem Lebensunterhalt nachgehen, müssen uns in der Gesellschaft bewegen und so weiter – und solches braucht eine Form. Aber die Identitäten, die wir dabei eingehen, sind immer vorübergehend, etwa wie Kleider, die wir der jeweiligen Situation anpassen. Nie nehmen wir dabei diese temporäre Form oder Identität ernst.   

Bescheidenheit hilft uns demnach, diese äussere Form oder Identität, unser Ego also, abzustreifen.  Deshalb ist es wohl hilfreich, wenn wir uns ein paar Eigenschaften der Bescheidenheit vor Augen führen:  

Wir akzeptieren Situationen, so wie sie sind, voll und ganz und ohne jeweils ein Urteil zu fällen. Auf der anderen Seite klagen wir nicht mehr darüber, wie schlecht es uns geht oder darüber, dass wir Opfer der Umstände sind.

Wir sind offen gegenüber allem, was uns begegnet. Auf der anderen Seite beschäftigen wir uns nicht mehr mit unserer Identität und wie wir sie stärken könnten.   

Wir sind dankbar für alles, was wir antreffen. Auf der anderen Seite lassen wir unsere Besitzgier los, sei dies für Materielles (etwa ein Haus oder ein Auto) oder für Immaterielles (etwa Lob, Status oder Anerkennung).

Wir haben keine Ansprüche. Auf der anderen Seite lassen wir unsere Selbstherrlichkeit und unsere Anspruchshaltung los.  

Wir vergeben anderen. Auf der anderen Seite machen wir niemandem Vorwürfe.

Wir üben uns in Vertrauen. Auf der anderen Seite geben wir unser Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit auf.  

Wir nehmen eine Haltung des Nicht-Wissens ein. Auf der anderen Seite, lassen wir unser Verständnis der Welt los und akzeptieren, dass wir stets von anderen lernen können.

Wichtig: Bescheidenheit heisst nun aber nicht, dass wir uns weniger wichtig oder wertvoll machen als andere oder uns selbst erniedrigen. Wir suchen also nicht das Gegenteil des Egos, oder wir suchen auch nicht wenig Identität statt viel Identität, sondern wir sind an einer anderen Stelle, einer wo dies alles gar kein Thema ist. Mit unserer Bescheidenheit öffnen wir uns für die Liebe – wir sind dann gewissermassen in einem anderen Raum, einem wo gar nicht erst über Identitätsfragen gesprochen wird.

Bescheidenheit – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Meinung – ist also keine Schwäche, sondern im Gegenteil, eine Stärke. Es ist sogar eine sehr wichtige Stärke, welche uns ermöglicht, unseren eigenen Weg wahrzunehmen. Und - nochmals - nur wenn wir ihn wahrnehmen, können wir ihn auch gehen.  
 
                                  
 
Schwebefliege auf einem Buschwindröschen. Bescheidenheit oder nicht?
 

Montag, 1. Februar 2016

Braucht es Enthaltsamkeit für den eigenen Weg?


Es gibt unzählige Vorschläge, wie eigene Wege unterstützt werden könnten. Dazu gehören Empfehlungen, welche Enthaltsamkeit raten. Gemeint damit ist nicht nur, dass man sich sexuell zurückhalten oder ganz auf Sex verzichten sollte, sondern auch, dass man wenig isst, asketisch lebt, keine Drogen nimmt, das Vergnügen meidet und dergleichen. Meist stehen zwei Begründungen hinter dieser Idee: 1) Solche Aktivitäten rauben Energie, welche dann für den eigenen Weg nicht mehr zur Verfügung steht. Dies kann man sich wiederum nicht leisten, denn für den eigenen Weg benötigen wir unsere gesamte Energie. 2) Solche Handlungen lenken uns ferner von unserem Weg ab. Im besten Fall haben wir dabei nicht mehr die volle Aufmerksamkeit zur Verfügung und im schlechtesten verpassen wir unseren Weg sogar gänzlich. In anderen Worten: Wir müssen achtsam sein, überall lauern Gefahren oder Versuchungen, ständig sind wir irgendwelchen Prüfungen unterworfen und bestehen wir diese nicht, dann können wir unseren Weg vergessen. Es wird dann unmöglich die Liebe, die Erleuchtung oder Gott zu finden, wir müssen allenfalls sogar in einem anderen Leben dafür büssen oder sonstige Strafen auf uns nehmen. Unser Verzicht ist also ein notwendiges Opfer, welches wir erbringen müssen, damit wir weiterkommen. Den Versuchungen gilt es also mit allen Mitteln zu widerstehen.  
 
Kann das sein? Stimmt dies wirklich? Viele sagen ja. Immerhin ist diese Vorstellung ein wichtiger Bestandteil zahlreicher spiritueller Traditionen oder Religionen. Regeln über Essen oder Sexualität sind fast überall anzutreffen – und meistens geht es dabei um Verzicht auf die eine oder andere Art. Wurde hier also etwas Wichtiges erkannt oder vielleicht doch nicht? Die wichtige Frage: Muss man, um den eigenen Weg zu gehen, enthaltsam leben?
 
Obwohl häufig und prominent gestellt, geht diese Frage meines Erachtens an der Essenz von eigenen Wegen vorbei. Diese Frage stellt sich also gar nicht. Ich sehe es stattdessen eher so: Es gibt keine konkreten Handlungen, welche als solche unseren Weg fördern oder behindern könnten. Jede einzelne Aktivität kann entweder auf unserem Weg sein oder eben auch nicht. Alle Handlungen sind diesbezüglich wertneutral, sie können nicht als Massstab herangezogen werden. Das gleiche gilt natürlich für den Verzicht auf etwas – nicht handeln ist in diesem Sinne das gleiche wie handeln. Konkret kann zum Beispiel Sex auf dem eigenen Weg sein, aber es kann auch von diesem ablenken. Umgekehrt kann kein Sex auf dem eigenen Weg sein, oder aber auch ablenken.  
 
Es ist demnach nicht die Handlung als solche, sondern unser Herz, welches entscheidet, was auf unserem Weg liegt und was nicht. Weil unser Herz nur im Jetzt entscheiden kann, sind sowieso solche grundsätzlichen Entscheide unmöglich – zum Beispiel ob eine bestimmte Handlung nun zu uns passt oder nicht. Wir können uns also nur jetzt für oder gegen eine Handlung entscheiden – morgen müssen wir erneut entscheiden – und womöglich ist dann alles anders. Wir können dies im Voraus nicht wissen. Unser Weg ist nicht voraussagbar. Und dies gilt sowohl für Handlungen wie auch für den Verzicht darauf. Verzichte ich heute (von Herzen!), dann ist es möglich, dass ich dies morgen nicht mehr tue (wieder von Herzen!).
 
Hierzu passt auch das Thema des letzten Blogs (vgl. hierzu den letzten Blog Eintrag vom 31.12.15): Dort postulierte ich, dass absolute Aussagen den Fluss der Liebe behindern können. Enthaltsamkeitsgebote sind nun genau solche absoluten Aussagen. Es wird etwa gesagt: „Mach es genau so, dann bleibst du auf deinem Weg.“, aber eine solche absolute Regel behindert den eigenen Weg. Dies deshalb, weil die Liebe nicht mehr fliessen kann und der eigene Weg sehr viel damit zu hat, dem Fluss der Liebe zu folgen. Der Zweck der Regel wird also verfehlt. Wahrscheinlich ist dies sogar eine bewusste Taktik, denn solche Aussagen stammen oft von organisierten Religionen oder Gemeinschaften, die ihre Mitglieder damit bei der Stange halten. Solche Aussagen sind also eine Falle: Geködert wird mit Aussagen über den eigenen Weg (oder Gott, die Liebe, Erleuchtung und so weiter) und sind die Menschen einmal angezogen, schnappt die absolute Aussage zu und behindert in der Folge den wirklich eigenen Weg. Hat man dann eine Weile diese Opfer auf sich gebracht, hat man also schon viel investiert, dann schwindet das Interesse immer mehr, die Regelwerke der absoluten Aussagen zu hinterfragen und man bleibt bei der Organisation.
 
Wie sieht es der Schamane? Alles, was er im Leben antrifft, gehört zu seinem Weg. Alles kann demnach dazu dienen, dass er sich selbst beziehungsweise seinen Weg erkennt. Im Gewühl des Lebens – und alles darf dazugehören – erkennt er, wo noch ein Heilungsbedarf besteht. Er heilt und arbeitet an sich und gelangt so in eine neue Situationen, die wiederum bei ihm Dinge auslöst. Und immer entscheidet er mit dem Herzen: Ob er Sex hat oder nicht, entscheidet er mit dem Herzen, ob er etwas isst oder nicht ebenfalls, genauso, ob er sich einer Vergnügung hingibt oder nicht. Und weil mit dem Herzen entschieden worden ist, ist die Handlung oder Aktivität auf seinem Weg – es kann nicht anders sein. Es ist also nicht die Handlung als solche, die eine Rolle spielt, sondern die Motivation hinter der Handlung.
 
Soweit die Überlegung. Aber – dies meine Beobachtung – ist das reine Überlegen nicht genug. Ich fragte deshalb meine spirituelle Helferin, was sie zu diesem Thema findet. Hier das Resultat meiner schamanischen Reise: Ich sah mich auf einem Hügel. Um mich herum lag eine riesige Ebene, vollständig mit Menschen gefüllt, aufgeteilt in unzählige Gruppen. Alle Menschen waren daran, irgendwelche Regeln ihrer jeweiligen Gruppe zu befolgen: Beispielsweise Mönche, welche Keuschheitsgebote ablegten, Religionsgemeinschaften, welche Essensregeln aufstellten, aber auch Gesellschaften, welche zu Vergnügen aufriefen. Man bekam den Eindruck, dass alle Menschen vor allem damit beschäftigt waren, die jeweiligen Regeln einzuhalten. Ab und zu schauten Mitglieder einzelner Gruppen zu mir, hiessen mich in ihrer Gruppe willkommen, allerdings unter der Voraussetzung, auch ich würde ihre Regeln einhalten. Ich traute mich aber nicht in die Menschenmasse und sass auf diesem Hügel und fühlte mich einsam. Ohne die Regeln einer Gruppe anzunehmen, würde ich wohl diesen Hügel nie verlassen können, dachte ich mir. Ich beobachtete nun, wie andere Menschen durch die Menschenmassen zu gehen versuchten aber ohne die Regeln einzuhalten. Diese wurden schnell erkannt und buchstäblich zerfleischt. Dies bestätigte mich: Es gab offenbar wirklich kein Durchkommen. Meine Helferin fand nun, ich dürfe trotzdem nicht mehr lange auf diesem Hügel sitzen und zuschauen – ich müsse doch durch diese Menschenmenge hindurch und zwar zu einem zweiten Hügel, welcher sich auf der anderen Seite der Menschenmasse befand. Sie forderte mich dazu auf, mich übers Herz mit dem anderen Hügel zu verbinden. Diesem Herzstrang müsse ich nun bis zum anderen Hügel folgen. Ich ging mit gemischten Gefühlen los und folgte dem Strang. Ich traf auf die erste Gruppe und fügte mich zwangsläufig ihren Regeln (von Herzen, denn ich folgte ja meinem Strahl des Herzens). Ich war solange bei dieser konkreten Gruppe, bis ich ihren Bereich durchquert hatte. Als ich sie verliess, hatte ich viel gelernt und einiges an mir geheilt. So kam ich zur nächsten Gruppe, wo das Gleiche geschah. So ging es weiter, Gruppe um Gruppe, Regelwerk um Regelwerk. Und je weiter ich kam, desto stärker wurde die Verbindung zum anderen Hügel und desto klarer wurde meine Route. Mit der Zeit merkte ich, dass ich nicht mehr alleine war. Ich erkannte weitere Menschen, welche ihren eigenen Strahlen folgten. Wir trafen uns alle beim anderen Hügel.  
 
Was heisst dies nun konkret? Wir können Regeln und Gebote nicht vermeiden. Unser Weg führt immer durch Gesellschaften oder Gruppen, welche jeweils Regeln und Gebote aufstellen und umsetzen. Es geht nicht anders – die Gruppen sind so nah zusammen, dass keine Möglichkeit besteht, ihnen auszuweichen. Wir müssen also hindurch. Und es ist unser Herz, welches den konkreten Weg kennt. Wir vermeiden also nicht Gruppen mit Regeln, sondern wir befassen uns mit ihnen. Haben wir bei einer Gruppe alles erkannt, dann gehen wir zur nächsten.  
 
Wie können wir nun die Eingangsfrage zusammengefasst beantworten? Enthaltsamkeit als solche fördert weder unseren eigenen Weg noch behindert sie ihn. Gebote dieser Art gehören in die unzähligen Regelwerke, welche die Menschheit sich selbst auferlegt, manchmal gut gemeint aber mitunter auch als hinterhältige Falle, um andere Menschen an sich zu binden. Gruppen mit solchen Regelwerken lassen sich jedoch nicht vermeiden. Wir müssen hindurch – immer dem Herzen folgend, lernend und heilend. So geraten wir in neue Situationen, die wir ebenfalls durchlaufen müssen. Konkret heisst dies, dass wir manchmal enthaltsam und asketisch leben, dann aber wieder nicht. Wir erachten nichts als eine gegebene Notwendigkeit in unserem Leben. Dabei dürfen natürlich gewisse Handlungen durchaus das ganze Leben lang konsistent bleiben. Dies ist aber immer die Folge eines Herzentscheides und nicht deshalb, weil wir konkrete Regeln befolgen. Also: Nicht die Handlung als solche beziehungsweise den Verzicht darauf ist wichtig, sondern die Motivation, die dazu geführt hat.