Donnerstag, 1. Januar 2015

Heimat


Viele von uns spüren eine Sehnsucht nach Heimat, nach einem Zuhause, einem Ort und meistens auch einer Zeit, an dem und in der wir uns wohl, sicher, aufgehoben und geborgen fühlen. Wo sind solche Orte? Wie findet man sie? Ist das Zuhause oder die Heimat im Aussen zu suchen? Oder ist „zu Hause sein“ vielleicht auch etwas ganz anderes?

Hier meine persönliche Suche nach Heimat, mit den Fragen, die ich mir dabei stellte und was dabei herausgekommen ist. Ich möchte dabei das „Persönlich“ betonen. Andere Menschen finden vielleicht ihre Heimat durchaus an Orten, wo ich sie nicht finde. Die Frage danach ist aber für alle gleich.

Ich fragte mich als Erstes: Was ist genau mit „Heimat“ gemeint? In einem Wörterbuch fand ich folgende Definitionen:  1) Das Land oder die Gegend, wo man geboren und aufgewachsen ist oder wo man sich zu Hause fühlt, weil man schon lange dort wohnt ("nach einer langen Zeit in der Fremde in die Heimat zurückkehren") und 2) das ursprüngliche Herkunftsland von etwas ("Die Heimat der Kartoffel ist Südamerika."). Nimmt man den ersten Teil der Definition, müsste meine Heimat dort sein, wo ich der grösste Teil meiner Lebenszeit verbracht habe. Ich rechnete dies aus und kam auf folgende Grafik, welche aufgeteilt nach Länder, meine Heimat darstellen müsste:

 


 

Lebenszeit auf Länder aufgeteilt. Jedes Jahr wurde gleich gewichtet.

Ist nun die Schweiz eine halbe Heimat, die USA eine Drittelheimat? Müsste Heimat nicht eine mehr oder weniger ganze Sache sein? Dieser Ansatz fühlt sich nicht stimmig an. Ich habe deshalb den zweiten Teil der Definition ebenfalls berücksichtigt – was zu einer stärkeren Gewichtung der Anfangsjahre führt. Zusätzlich habe ich in der zweiten „Heimatrechnung“ Zeiten, die weniger lang zurück liegen, ebenfalls stärker berücksichtigt, da ich mich besser an sie erinnere. Um der Definition gerecht zu werden, habe ich also den Anfang des Lebens und die kürzlich vergangenen Jahre am stärksten gewichtet. Dies führt bei mir zur nachfolgenden „Heimat“:  

 


 

Lebenszeit auf Länder verteilt mit einer stärkeren Gewichtung der ersten und letzten Jahre.

 

Stellt dies nun meine Heimat dar? Das heisst, ich müsste mich in der Schweiz und in den USA am wohlsten fühlen, aber je nur zu knapp 40 Prozent -  nicht gerade eine hohe Zahl. Auch dieser Ansatz führt bei mir nicht zu einer Heimat. Für gewisse Menschen mag ein Ort oder ein Land einen viel höheren Wert aufweisen für andere einen kleineren – aber als allgemeine Heimatdefinition geht dies nicht. Heimat liegt nicht in einem konkreten Land oder an einem konkreten Ort…

Die Definition des Wörterbuchs funktioniert nicht. Ich muss andere Ansätze testen:

Vielleicht ist es die Sprache? Fühle ich mich dort zuhause, wo bestimmte Sprachen gesprochen werden? Ich habe diese Frage für mich analysiert und gemerkt: Ich fühle mich am meisten in den Sprachen Englisch (nur Amerikanisch), Italienisch und Spanisch zuhause. Dies hat interessenterweise nichts damit zu tun, wie gut ich diese Sprachen kann, und widerspricht zudem der oben erwähnten Länderaufteilung, wonach eher Schweizerdeutsch und English meine „Heimat“ sein müssten. Zumindest für mich: Heimat liegt nicht in einer konkreten Sprache…

Wenn es nicht Länder oder Orte sind und auch nicht die Sprache, dann ist es vielleicht die Landschaft? Ich beobachte an mir zwar Tendenzen - Ich fühle mich etwa in hügeligen mehr zuhause als in alpinen Gebieten, mehr in Weiten als in Tälern, mehr im Jura als in den Alpen, mehr in der Extremadura als in Norwegen - aber grundsätzlich kann ich an allen Landschaften Gefallen finden, es gibt keinen eindeutigen Favoriten. Mir scheint: Heimat liegt nicht in der Landschaft…

 Ist die Natur meine Heimat? Ich fühle mich sehr wohl in der Natur, aber auch hier in jeder Art von Natur. Es kann also nicht ein konkretes Biotop sein, wie etwa ein Wald oder eine Steppe. Es könnte allerdings die Natur als Ganzes sein. Nur würden mir dann kulturelle Dinge wie etwa Bücher oder auch andere Menschen fehlen. Die Natur als Heimat zu bezeichnen wäre also unvollständig. Deshalb: Die Natur ist nicht Heimat…

Vielleicht sind es die Menschen? Ist meine Heimat dort, wo ich mich verstanden fühle, ich so sein kann, wie ich bin, wo mich andere Menschen mögen? Überall wo ich bin (d.h. an allen Orten aber auch in allen Arten von Gruppen wie z.B. der Familie) kenne oder treffe ich Menschen, zu denen ich mich verbunden fühle. Aber überall hat es auch solche, zu denen ich keine Verbundenheit spüre. Es gibt also keine Gruppe, wo ich mich mit allen Mitgliedern verbunden fühle. Ich könnte nun sagen, Heimat sind immer nur diejenigen Menschen, zu denen ich gerade eine Verbundenheit spüre. Vielleicht. Aber manchmal ändert dies, das heisst ich spüre eine Verbundenheit zu einem Menschen und dann nicht mehr oder umgekehrt. Reicht das für eine „Heimat“? Mir scheint nicht, Heimat müsste stabiler sein und ich postuliere: Andere Menschen sind nicht Heimat…

Ist Heimat eine Zeit? Ist 2015 meine Heimat, beispielsweise im Gegensatz zur Römerzeit oder zu den Steinzeitmenschen? Ich beobachte zwar, dass es Zeiten gibt, zu denen ich mich hingezogen fühle (z.B. zu den Kelten oder eben zu den Römern) und zu anderen, zu denen ich weniger Verbindung spüre (z.B. dem Mittelalter). Aber zu welchen Zeiten ich mich auch immer verbunden fühle – ich kann nicht dorthin. Ich bin immer im Jetzt und nicht in anderen Zeiten. Wenn ich aber keine Wahl habe, dann ist es müssig in dieser Beziehung über „Heimat“ zu sprechen. Folglich: Eine bestimmte Zeit ist nicht Heimat…

Ist Heimat eine Philosophie oder Weltanschauung? Bin ich dort zuhause, wo andere Menschen gleich denken wie ich, etwa betreffend Politik, Religion, Lebensführung und dergleichen? Ich mag aber die Auseinandersetzung mit verschiedenen Ideen und Weltanschauungen. Mir würde es langweilig, und ich würde meine eigenen Ideen nicht weiterentwickeln können, wenn ich nur von Menschen umgeben wäre, welche die Dinge gleich sehen wie ich. Nein, Heimat liegt nicht in einer bestimmten Philosophie…

Was dann? Wenn es nichts im Aussen ist, vielleicht liegt die Heimat bei mir selbst? Ist etwa mein Körper meine Heimat? Wie kann ich das testen? Ich konzentriere mich auf meinen Körper, nehme ihn wahr und frage: Fühle ich mich da zuhause? Verschwindet die Sehnsucht nach Heimat? Sie tut es nicht. Zumindest in meinem Fall nicht: Mein Körper ist nicht meine Heimat…

Ist die Heimat meine Seele? Hier muss ich nicht lange überlegen – im „Schamanischen Buch der Seele“ habe ich dargestellt, wie veränderlich eine Seele ist, wie wir ständig Bewusstseinselemente aufnehmen und abgeben, wie das, was ich als Seele betrachte, mein Bewusstsein also, eine veränderliche Sache ist. Und das andere – und hier das gleiche Argument wie beim Körper: Meine Seele besteht jetzt auch schon und trotzdem empfinde ich Sehnsucht nach Heimat. Heimat müsste also etwas sein, was ich noch nicht oder nicht vollständig besitze. Heimat liegt nicht in der Seele.

Ist meine Heimat mein Weg? Ein eigener Weg ist immer neu, man weiss nie wo er hingeht. Unser Weg löst Angst aus, weil wir auf Neues zugehen, Trauer, weil wir altes verlassen. Ein Gefühl von Geborgenheit entsteht da nicht. Zudem suche ich ja genau auf meinem Weg (unter anderem) nach Heimat. Nein, der Weg als solcher fühlt sich nicht wie ein Zuhause an. Vielleicht führt der Weg zur Heimat, aber er ist es nicht selbst. Mein Weg ist nicht meine Heimat…

Ist Heimat die Liebe? Dabei betrachte ich Liebe als übergeordneter Raum, welcher dank meines Weges des Herzens vergrössert wird. Die Ausdehnung der Liebe ist also das Ziel des eigenen Weges. Bin ich dann in der Heimat, wenn ich zur Liebe geworden bin? Nur, dieser Zustand erreiche ich nicht vollständig, solange ich lebe. Also kein vollständiges Zuhause solange ich lebe? Dennoch: Vielleicht ist Heimat die Liebe…

Oder – gibt es gar keine Heimat? Mit Denken komme ich nicht weiter. Zeit, also, für eine schamanische Reise! Ich fragte meine spirituelle Helferin: „Was und wo ist meine Heimat?“ Sie lacht mich an, schaut in jede Richtung, blickt zum Himmel und zu den Bäumen, sie schaut zu den Städten und zu anderen Menschen. Sie streckt die Arme weit aus und findet: „Alles ist Heimat, deine Heimat ist alles. Es gibt kein Ort, kein Land, kein Mensch, kein Wesen, kein Ding, welches nicht Heimat wäre. Und weil Liebe alles ist, ist Heimat auch Liebe.“

Ich frage nach: „Wenn Heimat Liebe ist, beziehungsweise alles, dann erreiche ich das nie, vielleicht dann, wenn ich gestorben bin, aber nicht jetzt.“

Sie antwortet: „Aber doch, wenn alles Liebe ist, wenn Heimat alles ist, dann bist zu jetzt schon zuhause. Du bist – egal wo du bist, egal mit wem du bist – du bist in deiner Heimat.“

„Aber wieso spüre ich dann noch eine Sehnsucht nach Heimat? Das würde doch eher heissen, ich bin noch nicht dort.“

„Deine Sehnsucht zeigt dir nur, dass du es noch nicht gemerkt hast. Sobald dir das voll und ganz bewusst bist, dass alles, was du jetzt wahrnimmst deine Heimat ist, dann vergeht die Sehnsucht.“

„Und wie kann ich das merken?“

„Öffne dein Herz für alles. Öffne es so weit, dass es wirklich alles umfasst. Sobald du das schaffst, bist du überall zuhause.“

Meine langen Überlegungen und dann eine so einfache Antwort! Ich kann nichts beifügen… ich kann aber zusammenfassen: Heimat ist nichts Konkretes im Aussen, Heimat ist nichts Konkretes im Inneren, Heimat ist alles, Heimat ist die Liebe, Heimat finde ich, indem ich alles ins Herz schliesse.