In den letzten Monaten zog
es mich immer wieder zu Wanderungen, welche auch Grenzen verlaufen. Meist
führten diese auf den Landesgrenzen zwischen der Schweiz und Frankreich, z.T.
auch zu Deutschland und Italien oder auch auf der Grenze zwischen Liechtenstein und Österreich. Zu Beginn wusste
ich nicht genau, wieso ich dies tat, ich wusste aber, dass es sich stets lohnt
solchen Impulsen nachzugehen. Nach und nach merkte ich, dass es darum ging, die
Qualitäten von Grenzen auf diese Art und Weise kennen zu lernen. Grenzen
bestehen ja nicht nur zwischen Ländern, sondern auch zwischen Menschen, oder
zwischen der Arbeits- und Privatwelt oder etwas zwischen der materiellen und
der spirituellen Welt. Hier möchte ich einige meiner Beobachtungen aufführen
und schildern, welche Erkenntnisse ich daraus ableiten konnte.
Die Bewirtschaftung der
Wälder und Felder ist meist von Land zu Land radikal anders. Der Wechsel findet
meist genau an der Grenze statt und ist deshalb hier besonders ersichtlich.
Sehr gut ist diese Änderung entlang der Grenze zwischen Frankreich und der
Schweiz ersichtlich, weil hier die Grenze meist durch geologisch und klimatisch
genau gleiche Gebiete geht. Die Natur wäre hier auf beiden Seiten genau gleich
– die Unterschiede stammen alle von menschlicher Hand. Es kommen hier zwei
Bewirtschaftungsphilosophien auf engstem Raum zusammen, die eigentlich weit weg
– in Bern, Paris oder Brüssel – entwickelt wurden.
Erkenntnis:
Von Natur aus wären die Übergänge fliessend und es bestünden keine abrupten
Grenzen. Dies wäre auch bei anderen
Grenzen so, etwa bei Menschen. Das heisst es bestünde nicht wirklich ein klarer
Ort, wo jemand aufhört und der nächste beginnt, sondern auch dies wäre wohl ein
fliessender Übergang. Doch versuchen wir stets unsere Grenzen klar zu
definieren, es besteht kein klarer Ort wo jemand aufhört und der nächste beginnt.
Es tut gut, Grenzen nicht als etwas absolutes, sondern als etwas fliessendes
anzuschauen.
Ausser bei hohen
Bergketten, Seen und Flüssen, befindet sich fast überall ein Weg, welcher exakt
auf der Grenze verläuft und von Grenzstein zu Grenzstein führt. der von
Grenzstein zu Grenzstein führt. Es ist also meistens sehr einfach, genau auf
der Grenze zu wandern und auf der einen Seite das eine Land und auf der anderen
das andere wahrzunehmen. Interessanterweise ist dieser Grenzweg oft unabhängig
von den Wald- oder Feldbewirtschaftungswegen auf beiden Seiten. Das heisst,
jede Seite hat seine eigenes Wegnetz, der Weg auf der Grenze ist eigenständig.
Erkenntnis:
Es ist immer die Aufgabe eines Menschen, insbesondere eines Schamanen, der
einen eigenen Weg geht, die Dinge aus den verschiedensten Blickwinkeln
anzuschauen. Konkret kann dies der Blickwinkel der materiellen und der
spirituellen Welt sein, oder etwa der eigene und der Blickwinkel eines anderen
Menschen oder etwa der Blickwinkel der Menschheit und der des Planeten. Ein
Mensch ist in diesem Sinne immer auch ein Grenzgänger. Ein Mensch der eigene
Wege geht ist auch unabhängig von bestehenden Wegnetzen in den einzelnen
Bereichen. Er ist etwa unabhängig von bestehenden Wegen in der materiellen Welt
aber auch von bestehenden Wegen in der spirituellen Welt – er lässt sich nie in
solche einbinden.
Jedes Land hat eigene
Methoden Dinge zu markieren, wie etwa Wanderwege, Strassen, Wegkreuzungen, zu
fällende Bäume, Wasserleitungen. Diese Markierungen ändern meist genau auf der
Grenze, das Design der Ortstafeln ändert beispielsweise sofort. Eine Ausnahme
sind Wanderwegmarkierungen, welche mitunter über die Grenze hinweggehen. So
dringen Schweizer Wanderwegmarkierungen nach Frankreich und umgekehrt. Wieso
diese Ausnahme? Wieso ist bei Wanderwegen erlaubt, was bei anderen Markierungen
nicht der Fall ist? Was könnte die symbolische Bedeutung sein? Wieso beim Wandern nicht, wieso sind dort
Grenzüberschreitungen erlaubt? Was ist die symbolische Bedeutung?
Erkenntnis:
Wandernd, eine langsame und wohl die natürlichste Bewegungsart, in der wir auch
nichts verändern (wie z.B. Bewirtschaftung) ist die beste Art das andere zu
erkunden, wir müssen langsam, natürlich, respektvoll vorgehen, wenn wir uns
jenseits einer Grenze bewegen. Dies gilt sowohl dann, wenn wir etwa einen
anderen Menschen kennen lernen, wenn wir eine andere Ansicht oder Philosophie
uns anschauen, wenn wir und in der spirituellen Weg bewegen. Die Art und Weise
des Wanderns ist hierzu geeignet, die anderen forscheren Bewegungsarten oder
gar wenn wir versuchen Dinge zu verändern nicht mehr.
Eigentlich ändert die Wanderwegmarkierung wenn man in die Schweiz kommt,
wie die obenstehende Tafel kundtut, doch gehen die Markierungen oft über die
Grenze (siehe Bild unten).
Dieser Wanderweg ist sowohl mit französischen wie auch
mit schweizerischen Wanderwegzeichen markiert.
Die Grenzsteine sind
sehr unterschiedlich markiert. Manchmal steht auf der Schweizerseite das Land,
manchmal ein Kanton und dies manchmal als Abkürzung und manchmal als Wappen.
Alte Grenzsteine mit überholten Bezeichnungen (wie z.B. Bern, wo jetzt Jura
wäre, oder Grossherzogtum Baden, wo jetzt Baden-Württemberg wäre, oder beim
Dreiländergrenzstein in der Nähe von Réchésy, wo Deutschland gar nicht mehr
angrenzt). Die Grenzsteine sind auch unterschiedlich alt, es wirkt so, wie wenn
die Grenze über die Jahre ständig verfeinert wurde und leicht verändert wurde.
Erkenntnis:
Auch unsere Grenzen verhalten sich so: Im Verlauf unseres Lebens und je mehr
wir uns entwickeln, desto verfeinerter sind die Grenzen. Unsere Heilung bringt
gewisse Themen zum Verschwinden und so sind unsere Grenzen an ganz anderen
Orten. Manchmal treten aber auch neue Themen an die Stelle der alten.
Der Grenzverlauf ist oft
extrem unregelmässig. In gewissen Gebieten führt er zwar schon entlang
Wasserscheiden oder Flüssen, aber immer wieder mit Ausnahmen. Dort wo die
Grenze keiner erkennbaren geografischen Logik folgt, ist der Verlauf sowohl im
Grossen wie auch im kleinen Detail oft unsinnig. Da gibt es etwa eine Stelle (Bänggenspitz)
bei Biel-Benken im Kanton BL an der Grenze zu Frankreich, wo die Schweiz nur
noch etwa 50 m breit ist um dann wieder etwas dicker zu werden für ca. 800 m,
um dort ein Waldstück zu umfassen, welches nach Frankreich hineinreicht. In
dieses kleine Stück führt eine Schweizer Waldstrasse (wie könnte es anders
sein) damit es nach Schweizer Normen bewirtschaftet werden kann. Weitere
Beispiele sind die chaotischen Grenzverläufe zwischen Deutschland und der
Schweiz zwischen Eglisau und Stein am Rhein. Die Geschichte hat zu diesem
Grenzverlauf geführt, selten wurden Korrekturen vorgenommen.
Erkenntnis:
Wenn wir unsere Grenzen nicht ständig überprüfen und korrigieren, dann werden
sie chaotisch und unübersichtlich. Es ist uns dann beispielsweise nicht mehr
klar, welche Themen wir wirklich noch anzugehen haben. Es lohnt sich deshalb
unsere eigenen Grenzen mitunter anzuschauen und dort wo sie chaotisch sind zu
heilen, damit wir abgerundeter unserem Leben begegnen können
Zwei weitere unregelmässige Grenzverläufe zwischen Frankreich und der
Schweiz. Zu beachten vor allem der zweite Grenzstein, bei dem sogar auf dem
Stein selbst die Grenze im Zentimeterbereich unregelmässig verläuft.
An der Grenze selbst
ist es heutzutage meist friedlich: Es geht auf kleinen Weg von Grenzstein zu
Grenzstein. Dass eine solche Grenze einmal bewaffnet oder umkämpft war ist
nicht ersichtlich. Geht man aber etwas ins Innere der jeweiligen Länder, dann
findet man zum Beispiel die Befestigungsanlagen oder Sperren aus den
Weltkriegen. Diese sind als nicht an der Grenze selbst sondern meistens etwas
versetzt. Zudem sind die Befestigungsanlagen selten symmetrisch, das heisst, wo
die Schweiz Bunker gegen ein anderes Land gerichtet hat (z.B. gegen Deutschland)
hat es auf deutscher Seite keine, aber wo z.B. Italien Bunker gegen die Schweiz
gerichtet hat (wer das nicht glaubt, soll einmal zwischen Ponte Tresa und Porto
Cerèsio in den Hügeln oberhalb des Lago di Lugano auf italienischer Seite
wandern), hat die Schweiz wesentlich weniger Befestigungsanlagen. Auch
beobachtet man grosse Unterschiede in der Dichte der Verteidigung je nach Ort,
ohne dass aus der Geografie klar wird wieso. Man könnte meinen, dass Solches
sorgfältig nach Kosten und Nutzen überlegt worden wäre – für mich ist diese
Logik aber oft nicht ersichtlich. Zusammengefasst: Grenzen werden versetzt
verteidigt, die Abwehr ist nicht symmetrisch und sie wird oft punktuell
verstärkt, ohne dass die Logik dahinter offensichtlich wäre.
Erkenntnis:
Diese Beobachtungen sind wichtig, wenn wir auf Grenzen von anderen oder anderem
stossen. Nur weil wir an der Grenze selbst noch kein Thema erkennen, heisst
nicht, dass es nicht ausbricht, wenn wir etwas tiefer gehen. An der Oberfläche
sind die Dinge also oft noch gut, wir treffen aber auf Widerstand, wenn wir
etwas oder jemand vertieft kennen lernen. Die Abwehr der anderen Person ist
aber nicht logisch und symmetrisch, d.h. wir können von unserer Warte nicht auf
den anderen schliessen. Auch wenn wir an einer Stelle (z.B. bei einem Thema)
auf Widerstand stossen, heisst nicht, dass es an einer anderen Stelle
durchlässig ist. Wir kommen z.B. bei gewissen Menschen bei manchen Themen in
die Tiefe und bei anderen nicht – ohne dass eine erkennbare Logik dahinter stecken
würde. Eine Grenze lässt sich am besten langsam abtasten und wir müssen uns
dabei bewusst sein, dass die anderen unsere Grenzen und Themen auch als
unlogisch empfinden und dass sie unsere Verteidigung genauso wenig verstehen
wie wir ihre.
Schweizer Panzersperren, welche ein gutes Stück von der Grenze entfernt
liegen.
Und wie so oft, wenn
man denkt, man habe eine Geschichte zusammen, dann geht sie weiter: So hatte
ich bis hierhin geschrieben und dann zog es mich auf einer weiteren Wanderung
nochmals an die Grenze, diesmal in der Nähe von La Brévine. Zu meinem Erstaunen
hatte es hier einen offiziellen Wanderweg exakt auf der Grenze, welche sogar die
Grenzsteine zum Thema hatte, der „Sentier des Bornes“. Interessanterweise war
dieser Weg weiss markiert, im Gegensatz zum üblichen Gelb. Weiss ist für mich
die Farbe es Herzens, entscheidet man mit einem „weissen Herzen“, so geht man
seinen eigenen Weg. Und hier war der Weg genau auf der Grenze, weder auf der
einen noch auf der anderen Seite. War dies das Zeichen, dass der Weg des Herzens
ein Weg der Balance ist – so wie es beispielsweise auch Buddha lehrte? Auf
diesem weissen Weg hatte es aber einen Störfaktor: Immer wieder bemerkte ich am
Boden orange Pfeile, welche in die entgegengesetzte Richtung zeigten. Diese
Pfeile kennzeichneten den Weg zusätzlich als Mountainbike Strecke. Im Gegensatz
zur Wanderweg Markierung, waren diese schludrig mit einer Spraydose angebracht
und es hatte wesentlich mehr orange Pfeile als weisse Wanderwegmarkierungen.
Beim Mountainbike fahren ist die Beziehung zur Natur, der Kontakt mit der Erde
meist nicht die Hauptmotivation, sondern der Weg ist ein Hindernisparcours,
denn es zu bewältigen gilt. Dies gibt einen Kick, dies ist gewissermassen eine
Ablenkung vom eigentlichen Weg. Es geht bei Wegen nicht um diesen Kick, es geht
um das Herz. An einer Stelle (siehe Bild unten) zeigten dann zwei weisse Pfeile
auf einen roten Punkt, alles auf einem Baumstamm angebracht – dies fasste in
meinen Augen dann alles zusammen: Meine
Existenz (rot) auf dem Baumstamm (mein Weg, wachsend, oder auch meine
Verbindung von Erde und Himmel) ist ein Weg der Balance. Nicht zu viel. Nicht
zu wenig. Nicht zu weit, nicht zu nah. Und in allem darf ich mich vom schnellen
Vergnügen nicht ablenken lassen …