Wer bin ich? Wer sind
wir? Diese Frage stellt sich für mich nach
dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative. Wieso? Schamanen betrachten immer
ihre Umgebung und lesen daraus eigene Themen ab - vor allem dann, wenn sie
etwas betroffen macht. Und dieses Resultat hat mich betroffen gemacht. Es ist
also eine gute Gelegenheit Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Und hier möchte ich
zeigen, wie ich dabei vorgegangen bin:
Zuerst listete ich die
Elemente des Abstimmungsresultates auf, die mich betroffen machen oder die mir
in dieser Geschichte aufgefallen sind:
· Als erstes fühle ich mich dieser Thematik sehr nahe, denn
obwohl ich einen Schweizer Pass besitze, habe ich erst gut die Hälfte meines
Lebens in diesem Land verbracht. Bis vor zwei Jahren hatte ich auch noch einen
anderen Pass. Ich weiss also wie es ist, sich mit verschiedenen Ländern
verbunden zu fühlen, in verschiedenen Ländern zu arbeiten und zu wohnen. Auch
meine gegenwärtige Arbeit ist sehr international geprägt und ich arbeite mit
Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen.
· Aus dieser Erfahrung heraus hat für mich ein Teil des
Jas damit zu tun, dass es vielen Menschen unklar ist, wie sie sich definieren
sollen, wer sie also genau sind. Sie definieren sich also unter anderem mit
einer Länderzugehörigkeit – ein Thema mit dem ich in meinem Leben auch immer
wieder gerungen habe. Und für viele wird diese Identität bedroht, wenn es zu
viele „Andere“ hat und entsprechend müssen sie das Fremde bekämpfen.
· Das Resultat war sehr knapp. Nur wenige mehr als die
Hälfte der Urnengänger stimmten ja. Man könnte genauso gut sagen, dass die Ja-Sagenden
und die Nein-Sagenden gleichauf waren.
· Die erste und für mich unmittelbare Konsequenz aus dem
Resultat war, dass die EU die Horizon 2020 Forschungszusammenarbeit mit der
Schweiz stoppte – und ich war gerade daran, einen Antrag zu Schreiben, bei dem es
darum gegangen wäre, das Gleis als Gesamtes zu optimieren und die
widersprüchlichen Ziele betreffend Lärm, Erschütterungen und Unterhalt unter
einen Hut zu bringen.
Kleine
Zwischenbemerkung: Dies waren meine Beobachtungen. Alle Menschen sind jedoch von
anderen Elementen einer Situation betroffen. Was mich betroffen macht, ist also
für andere nicht unbedingt ein Thema und umgekehrt. Die Vorgehensweise ist aber
für alle gleich.
Identität: Sind wir unser Fingerabdruck?
Zurück zum Vorgehen: Was
ich im Aussen beobachte, hat also auch mit meinem Inneren zu tun. Hier eine
Idee, wie ich das Abstimmungsresultat auf mein eigenes Leben ummünzen kann: Etwa
die Hälfte von mir hat ein Identifikationsproblem, beziehungsweise versucht
sich mit Äusserem zu identifizieren. Diese Hälfte weiss nicht genau wer ich
bin. Dieses Unwissen darüber beziehungsweise der Versuch mich mit Äusserem zu
identifizieren, führt dazu, dass meine Beschäftigung mit dem Gesamtsystem, dem
Übergeordneten also, behindert wird. Oder anders formuliert: Identifiziere ich
mich auf einer der Stufe eines Teilsystems (und die Identifikation als
Schweizer ist ein Teilsystem), dann verhindert dies die Betrachtung des Ganzen.
Das heisst, will ich
das Gesamte anschauen und verstehen, muss ich die Identifikation mit einem
Teilsystem aufgeben. Es muss vielleicht nicht eine gänzliche Aufgabe davon
sein, doch darf es nicht mehr als die Hälfte sein. Die Dinge, die ich bin, sind
also höchstens Rollen, praktische Dinge, damit ich bestimmte Schritte des Weges
gehen kann. Es sind Rollen und stellen nicht dar, was ich wirklich bin.
Um das Ganze besser zu
sehen, muss ich also herausfinden, was ich nicht bin, beziehungsweise muss ich
diese als Rollen erkennen. Hier einige Beispiele, ohne logische Struktur aufgelistet:
Ich bin kein Mensch. Ich bin kein Mann. Ich bin kein Lebewesen. Ich bin kein
Schweizer. Ich bin kein Lebenspartner. Ich bin kein Eisenbahnlärmingenieur. Ich
bin kein Schamane. Ich bin kein Aargauer. Ich bin kein Wanderer. Ich bin kein
Denker. Ich bin kein Leser. Ich bin kein Konsument. Ich bin kein Vater. Ich bin
kein Europäer. Ich bin keine Anhäufung von Atomen und Molekülen. Ich bin keine
Materie. Ich bin keine Seele…
Es ist sehr befreiend,
diese Dinge alle nicht zu sein. Aber was bin ich dann? Nichts? Oder alles
zusammen? Was ist das Ganze, welches
dann dabei herauskommt.
Ich weiss es nicht.
Aber vermutlich komme ich der Sache immer näher, je mehr ich mich nicht mehr
mit Teilsystemen identifiziere. Oder anders ausgedrückt, je weniger ich mich
mit konkreten äusseren Dingen identifiziere, desto mehr kann ich das Ganze
verstehen.
Ganz aufgeben darf ich
die Teilsysteme indes doch nicht. Will ich praktisch durchs Leben, muss ich
beispielsweise eine Nationalität haben, damit ich einen Pass erhalte und reisen
kann. Die oben aufgezählten Dinge bin ich nicht wirklich, aber ich nehme diese
Rollen ein, damit ich praktisch Leben kann und interessante Erlebnisse haben
kann. Es braucht also beides.
Aber wie viel von was?
Wie stark bin ich eine Rolle, wie stark keine und widme mich dem Gesamtsystem?
Hierzu bat ich um drei
weitere Zeichen, welche dieses Thema weiter beleuchten würden. Ich stand gerade
am Bahnhof Brugg und als Antwort sah ich 1) Die Schienenbefestigung, und die
Acht oder das Zeichen für Unendlichkeit auf den Schrauben (siehe Bild auf der
nächsten Seite). 2) Ein Plakat mit dem Lehrlinge gesucht werden und auf dem
eine Frau mit einem Schraubenschlüssel abgebildet ist und 3) schliesslich
bemerkte ich kurz darauf das Ruhewagensignet im Zug.
Zur Befestigung: Mein
Weg (symbolisch die Schiene) ist mit zwei Bolzen mit einer Acht oder einem
unendlich Zeichen befestigt. Vielleicht ist auch eine Schraube die Acht und die
Andere das Unendliche (bzw. das Ganze). Es ist dies eine Bestätigung, dass es
beides braucht. Zum Plakat: Es liegt in meiner Hand, diese Schrauben richtig
anzuziehen, wahrscheinlich genau so, dass sie in etwa gleich stark sind. Zum
Ruheabteil: Die geeignete Stärke finde ich wohl in der Ruhe und nicht wenn ich
abgelenkt bin. Bin ich abgelenkt, so besteht das Risiko, dass ich zu stark in
die Rollen verfalle und das Gesamte nicht mehr sehe.
Und als ich soweit
geschrieben habe, wollte ich ein Backup von diesem Text machen. Dabei
verschwand er vollständig… Er war weder auf dem Stick noch auf dem Computer.
Ich hatte nur noch eine ältere Version und musste meine Korrekturen von Neuem
eingeben. Die Erkenntnis: Wenn ich zu stark auf die Seite der Gesamtheit gehe,
dort wo alles und nichts ist, dann kann ich wirklich keine realen Dinge mehr
machen.
Fazit: Es braucht die
Identifikation mit der materiellen Welt im Sinne von Rollen zu etwa 50 %,
während die anderen 50 % mit der Beschäftigung mit dem Gesamtsystem gefüllt
werden. Dieses Gleichgewicht kann ich selber einstellen, aber es ist ein
heikles – kippe ich nur wenig auf die Seite des Materiellen, ist die
Gesamtbetrachtung beeinträchtigt, kippe ich zu stark auf die Gesamtheit, so
funktioniert das praktische Leben nicht mehr.