Egal wo man hinschaut,
überall ist etwas am Geschehen, ob in der weiten Welt, im eigenen Land oder in der Gemeinde. Wir hören vom Krieg
in der Ukraine, von den ISIS Terroristen, von Epidemien, Attentaten,
Bankenskandalen, Klimaveränderungen oder auch lokalen Problemen wie Korruption
und Planungsfehlern beim Bau von neuen Strassen oder Turnhallen. Mitunter sind
wir aktiv aufgefordert, unsere Meinung zu äussern, etwa an Wahlen oder an
Abstimmungen, aber meist geschehen diese Dinge ohne unser Hinzutun. Wir äussern
allenfalls unser Unmut in Diskussionen mit unseren Mitmenschen. Dabei denken
wir oft, dass unser Einfluss klein ist – was zählt schon unsere Stimme, oder
wie könnte der Ukrainekrieg durch unsere Meinung beeinflusst werden?
Aber schauen wir
genauer hin: Unsere Reaktionen auf diese Ereignisse basieren auf Entscheidungen
die wir fällen. Es ist eine Entscheidung, wem wir unsere Stimme geben. Es ist auch
eine Entscheidung, wie wir gegenüber unseren Mitmenschen den Ukrainekonflikt
oder die Ebola Epidemie kommentieren. Es ist ferner eine Entscheidung, ob wir
eine konkrete Handlung tätigen oder nicht, etwa ob wir spenden, hingehen oder
Flüchtlinge aufnehmen. Und – wie schon
sehr oft erwähnt – wollen wir unseren eigenen Weg im Leben gehen, so müssen
alle unsere Entscheide mit dem Herzen gefällt werden. Dies gilt selbstverständlich
auch für unsere Entscheide, ob und wie wir uns gegenüber Weltproblemen
verhalten, wie wir wählen oder abstimmen oder welche Meinungen wir äussern.
Unsere konkrete Reaktion
dürfen wir aber nicht davon abhängig machen, ob wir den Eindruck haben, unser
Beitrag würde eine Rolle spielen oder nicht (dies wäre ein Kopf- oder ein
Gefühlsentscheid), sondern wir tun etwas oder äussern uns auf eine bestimmte
Art, weil unser Herz ja sagt dazu.
Abgesehen davon ist
alles auf der Welt miteinander vernetzt. Dies geschieht in der spirituellen
Welt sogar noch viel stärker als in der materiellen. So ist unser Einfluss
unter Umständen viel grösser, als wir vermuten. Weil die Zusammenhänge
vielfältig und komplex sind, ist es kaum abzuschätzen, was unser persönlicher
Einfluss sein wird.
Und noch etwas gilt es
zu beachten: Die Tatsache, dass wir Kenntnis davon haben, dass man mit dem Herz
entscheiden kann, gibt uns auch eine grosse Verantwortung, dies tatsächlich zu
tun. Oder umgekehrt, jeder nicht gefällte Herzentscheid hat einen negativen
Einfluss auf das Geschehen, einen, den wir hätten vermeiden können.
Damit wir aber
betreffend den Geschehnissen im Aussen mit dem Herzen entscheiden können, ob
und welcher Beitrag wir leisten, müssen wir sicher sein, dass wir alle
Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, auch wirklich wahrgenommen haben.
Unser Herz kann nicht zu einer Möglichkeit zustimmen, die wir gar nicht kennen.
Es ist deshalb nötig, dass wir die Situationen genau analysieren, bevor wir mit
dem Herz entscheiden. So stossen wir allenfalls auf Handlungen, die uns sonst
verborgen geblieben wären. Ohne diese genaue Analyse hätten wir also unseren
eigenen Weg nicht gehen können, weil wir ihn gewissermassen nicht gesehen
hätten.
Selbstverständlich können
wir uns dabei nicht im Detail mit allem befassen was es auf dieser Welt gibt.
Der Massstab ist unsere Betroffenheit. Spüren wir ein Gefühl, eine Verzweiflung
oder Schmerzen, dann lohnt sich das genauere Hinsehen. Die anderen Themen
können wir ruhig beiseitelassen.
Selbstverständlich geht
es bei allen Themen auch immer um innere Wege und um die innere Heilung – dies
sei hier explizit in Erinnerung gerufen. Wir beobachten also nicht nur die
Themen im Aussen und bestimmen mit dem Herzen, wie wir darauf reagieren,
sondern wir widmen uns gleichzeitig der Heilung unserer Wunden, die wir dank
diesen Themen erkennen. Vielleicht ist dies auch schon genug und konkrete
Handlungen im Aussen sind gar nicht notwendig. Dieser Ansatz gilt immer – ich
habe ihn mehrmals in Foren und Büchern beschrieben – er ist aber nicht der
Fokus des vorliegenden Artikels.
Schon lange vor Charlie
Hebdo und ISIS stiess ich in Spanien auf den Islam. Grosse Teile der iberischen
Halbinsel waren von 711 bis 1614 islamisch. In dieser Zeit – in der das übrige
Europa im tiefen Mittelalter steckte - erlebte
Spanien eine wahre Hochkultur. Sehr geholfen hat dabei die Toleranz der
islamischen Herrscher gegenüber anderen Religionen, hauptsächlich den Christen
und Juden. In dieser Vielfalt konnten neue Ideen aufkommen und bedeutende
islamische Weisheitsträger wie etwa Ibn Al-Arabi lebten und wirkten in Spanien.
Mein in Spanien
generiertes Interesse am Islam führte mich zu den wichtigen Weisheitsträger und
Poeten des Islam (wie Rumi) und zu den Sufis.
Ich entdeckte bei letzteren Ansichten, die ich nicht erahnt hätte – so
liegt das Weltbild der Sufis sehr nah am schamanischen. Zum Beispiel geht es den
Sufis auch darum, den eigenen Weg zur Liebe zu finden. Ich habe weiter die
Stimmung in einigen Moscheen wahrgenommen und war erstaunt wie friedlich etwa
die Stimmung in der Hauptmoschee von Paris war – überall hatte es Teppiche und
Kissen auf denen Menschen sassen und beteten oder meditierten.
Kurz, der Islam, den
ich erlebte, war ganz anders, als das was ich in der Zeitung las, oder etwa
eine Woche nach Charlie Hebdo am Gard du Nord mitverfolgte, als ich beobachtete,
wie fünf Polizisten einen zappelnden, arabisch aussehenden Mann durch den
Bahnhof schleppten. Es war auch anders als die Hetze, die ich von
rechtspopulistischen Parteien oder Exponenten wie Thiel oder von Pegida erlebte.
Dieser Widerspruch beschäftigte mich, machte mich betroffen und ich forschte
weiter.
Ich las einige Bücher
über den Islam und begann dessen Entstehung und Inhalt zu verstehen. Ich sah durchaus
die Widersprüche im Koran, ich sah die Passagen, welche zu Gewalt auffordern –
entdeckte dann aber Passagen mit dem genau gleichen Inhalt auch in der Bibel. Auch
das Christentum hat eine sehr blutige Geschichte und auch hier wurden
Religionsstaaten mit Terror gefordert. Ein Beispiel ist Genf, wo der Reformator
Calvin (heute gefeiert) seine religiösen Gegner öffentlich verbrannte… Erinnern
wir uns auch an die Hexenverbrennungen, die Kreuzzüge, die Ausrottung der
Katharer und so weiter. In anderen Worten waren die Texte beider Religionen
voller Gewalt aber auch voller Weisheit. Und beide Religionen konnten Gutes
oder Schreckliches begründen.
Meine Schlussfolgerung:
Der Islam ist vielfältig. Er ist wie die Menschheit selbst, voller Gutem und
Bösem. Das Problem ist nicht der Islam als solchen, sondern es entsteht dort,
wo ihn Einzelne auf wenige Schlagworte reduzieren wollen und dabei natürlich
meist ganz andere Ziele verfolgen, etwa mehr Macht oder Prestige. Dies gilt
sowohl für die Anhänger, wie für die Gegner des Islam. Diese Beobachtung gilt
ferner nicht nur für den Islam, sondern für jede Religion, überhaupt für jede
Philosophie oder gar für jedes System. Die Dinge sind komplex und vielfältig –
es ist eine Gefahr, sie zu stark zu vereinfachen.
Die Konsequenz ist,
dass die Dinge in ihrer ganzen Vielfalt angesehen werden sollten. Es hat viele
Aspekte zu allem und am besten erkennt man diese, wenn man die unterschiedlichen
Sichtweisen wahrnimmt. Dies gelingt am besten, wenn man sie zuerst aus einer
möglichst übergeordneten Perspektive ansieht. Dann bemerkt man, dass in den
Teilsystemen die Menschen nur streiten, weil sie nicht das Ganze sehen. Es geht
also darum, die Dinge nicht zu vereinfachen, nicht in Untersysteme einzuteilen
sondern die Dinge immer in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Es geht in diesem
Sinne nicht um Islam oder Christentum, sondern um organisierte Religionen, oder
sogar um Philosophien oder um das Menschsein oder um das Leben als Ganzes.
Wie gehe ich nun damit
um? Welche Handlungen ergeben sich aus dieser Analyse, zu denen mein Herz dann
auch ja sagen könnte? Ich erkenne, dass ich – wo nur möglich – mich dafür
einsetzen kann, dass Dinge differenzierter betrachtet werden. Ich muss die
Vielfalt von Ansichten unterstützen und immer wieder anregen, die Dinge möglichst
aus übergeordneter Sicht anzusehen.
Wo kann ich nun so
handeln? Einerseits kann ich meine Erfahrungen mit dem Islam anderen mitteilen
(wie ich jetzt zum Beispiel mit diesem Text tue). Ich kann auch mein übriges
Leben betrachten, und mich dafür einsetzen, dass man die Dinge aus
übergeordneten Sichtweisen betrachtet. Ich bin ja in sehr vielen Systemen
eingebunden, etwa bei meiner Arbeit und kann dort beispielsweise verstärkt
Projekte vorschlagen, die Gesamtsysteme
anschauen, statt Details.
Die Aufgaben (von
Herzen), die ich also aus meiner Betrachtung des Islams ableite sind:
· Überall wo ich in Systeme eingebunden bin, setze ich
mich dafür ein, dass die Dinge aus übergeordneten Perspektiven angeschaut
werden, statt, dass sie in Einzelteile heruntergebrochen werden.
· Dort wo ich vereinfachende, plakative oder polemische
Schilderungen höre, versuche ich die Vielfalt darzustellen und aufzuzeigen,
dass es viele Wege und Sichtweisen gibt.
Diese Handlungen haben
nun nicht direkt mit Charlie Hebdo, dem Krieg in Syrien oder Pegida zu tun –
aber es sind die Handlungen, die ich konkret zu diesem Zeitpunkt machen kann. Ich
muss dabei nochmals betonen: Für andere Menschen mögen andere Handlungen aus
ihrer persönlichen Analyse stammen – jeder Mensch hat einen eigenen Weg des
Herzens.