Zwischen Vendlincourt, Bonfol, Courtavon und Pfetterhouse – die ersten beiden im Kanton Jura, beiden letzteren im elsässischen Sundgau – liegt ein grosser, sumpfiger, flacher Wald – der Bois Juré. Auf der Seite von Vendlincourt fliesst das Wasser in die Vendline und dann über den Doubs und die Rhone ins Mittelmeer. Auf der Seite von Courtavon in die Largue, welche über den Rhein in die Nordsee fliesst. Nicht nur geht hier eine Landesgrenze durch, sondern es besteht auch eine kontinentale Wasserscheide. Dieser Wald ist aber so flach, dass es über grosse Bereiche unklar ist, wohin das Wasser genau fliesst. Ist man in diesem Wald, so sieht man auch nicht hinaus – keine topografischen Elemente helfen bei der Orientierung. Es ist hier zudem sehr ruhig – der Lärm der menschlichen Zivilisation wird fast gänzlich vom Wald geschluckt. In diesem Wald ist es meist unklar, in welchem Land man gerade ist – z.B. führt eine französische Strasse durch die Schweiz oder Schweizer Wanderwege führen durch Frankreich – auch diese Orientierung funktioniert hier nicht. Zu gewissen Zeiten kam mit Deutschland noch ein weiteres Land hinzu und das Gebiet ist durchsäht mit alten Bunkern, Beobachtungsposten und Schützengräben aller drei Länder – heutzutage als Lehrpfade ausgeschildert, so wie der Circuit du Kilometer 0. Im Jahr 1914 machten hier die Franzosen die Schweizer Grenze zum Anfangspunkt ihrer Front. Damit wurde der Grenzstein 111 zum Kilometer Null der Westfront. Zu dieser Zeit gab es hier zudem ein Streifen Niemandsland. Ein weiteres, allerdings modernes Merkmal des Waldes ist eine Sondermülldeponie der Basler Chemie, welche jedoch mittlerweile saniert ist.
Dieser Wald ist wahrlich ein Gebiet zwischen den Welten. In
diesem Forst ist es unklar, ob man nun zum Mittelmeer oder zur Nordsee, zur
Schweiz oder zu Frankreich gehört. Hier kann man sich mit nichts identifizieren.
In diesem Wald sind wir weder dies noch das, weder hier noch dort. Wir sind
nicht ständig daran erinnert, wo und was wir sind. Wir sind hier ohne
Identität.
Insgesamt verbrachte ich 11 Nächte in diesem Wald.
Dies ist ein Ort für Schamanen. Dort wo die Identitäten verloren
gehen, können wir uns auf Verbindungen konzentrieren und so spüren, wohin es
uns wirklich zieht. Hier in dieser Zwischenwelt können wir in Ruhe verstehen,
um was es wirklich geht. Was ist real? Was ist Illusion? Hier können wir also erkennen,
wo und wie es weitergeht.
Solche Zwischenwelten gibt es natürlich nicht nur im Bois
Juré, sondern diese sind überall anzutreffen. Viele Menschen haben diese von
Haus aus – sie sind etwa in verschiedenen Ländern aufgewachsen und haben
unterschiedliche Kulturen und deshalb solche Zwischenwelten ständig in sich
selbst. Andere Menschen sind etwa bei der Arbeit gänzlich anderen Kulturen
ausgesetzt als in ihrem familiären Umfeld. Weitere befinden sich zwischen zwei
Lebensphasen – haben sich etwa von einem Partner getrennt und sind
vorübergehend alleinstehend. Andere stehen zwischen zwei Arbeitsstellen. Diese
Zwischenwelten gibt es also immer wieder und überall. Wir müssen sie jedoch
wahrnehmen und wertschätzen. Wir müssen die Gelegenheit packen und unsere
Identitäten loslassen, uns auf uns selbst besinnen und in Ruhe auf unser Herzen
hören. So spüren wir, wohin es als nächstes geht. Und dann wird es plötzlich
doch klar, ob wir nun in die Vendline oder in die Largue fliessen…
Aber dieser Zwischenbereich hat auch seine Gefahren: Wir
sind hier sehr empfindlich. Potenzielle Angreifer können dies ausnutzen und
beispielsweise ihren Müll bei uns deponieren, so wie dies die Basler Chemie in
der Deponie tat. Oder die Angreifer versuchen uns davon zu überreden, ihren Weg
zu gehen – wie die Berater, Versicherungsvertreter, Missionare und dergleichen,
welche uns in diesen empfindlichen Zeiten kontaktieren. Menschen in
Zwischenwelten sind anfällig auf solche Angriffe. Wie gehen wir damit um? Wir
müssen uns bewusst sein, dass es sie gibt. Wir anerkennen, dass die
Zwischenwelt nicht ein geschütztes Refugium ist und wir müssen Kontaktaufnahmen
und Hilfeleistungen sehr kritisch hinterfragen. Es geht um uns und nicht um
andere. Genauso wie ein Wassertropfen im Bois Juré sorgfältig die natürliche Topografie
spüren muss, um nicht durch die Störung der Deponie abgelenkt zu werden. Wir
müssen also Störungen als solche anerkennen und dann ignorieren.
Wir können in diesem Wald aber noch mehr erkennen: Auch die
Zahlensymbolik unterstützt uns. In der Numerologie symbolisiert die Zahl 111
oft, dass wir auf eine Mitteilung achten müssen, um unser Potential zu
erfüllen. Diese Mitteilungen sind oft sehr diskret, so dass wir genau
hinschauen müssen. Damit die Mitteilung nicht verfälscht wird, werden wir eine
Zeitlang die Null, genauso wie der Grenzstein 111 zum Kilometer 0 deklariert
wurde. Hier ist alles aufgelöst und wir haben keine Identität mehr. Die Null
symbolisiert die Zwischenwelt sowie ein Neuanfang aus dem Nichts. Auch die 11
Nächte passen. Die Zahl 11 will uns auffordern, die eigenen blinden Flecken zu
erkennen. Denn tun wir dies nicht, dann nützen die anderen Zeichen wenig.
Wieso heisst der Wald «Bois Juré»? Übersetzt bedeutet dies «der
Wald der Geschworenen», oder einen Ort, wo man schwört beziehungsweise einen
Eid ablegt. «Le Juré» heisst auch der Richter. Auch dies gehört zur
Zwischenwelt. Dies ist ein Ort, wo man eine Entscheidung fällt und gegenüber sich
selbst den Eid ablegt, wirklich seinen Weg zu gehen. Zieht es uns zur Vendline,
dann folgen wir ihr danach mit aller Konsequenz, zieht es uns zur Largue,
selbstverständlich auch. Interessanterweise gibt es aber noch eine Möglichkeit
zur Korrektur – einige Kilometer nördlich vermischen sich die Gewässer im Canal
du Rhône au Rhin. Man verspricht sich zwar, den Weg zu folgen, aber so kritisch
ist es dann auch wieder nicht – Änderungen sind immer möglich.
Ich landete mehr oder weniger durch Zufall an dieser Stelle.
Es war nicht die ursprüngliche Absicht. Aber einmal gefunden, zog es mich immer
wieder hin, bis es am Ende 11 Nächte waren. Auch dies war kein Plan – es
geschah einfach so. So ist es mit dem Zwischenwelten: Diese entstehen immer
wieder und meist ungeplant. Aber sind sie einmal da, dann halten wir inne, anerkennen
ihre Bedeutung und geben nicht dem Drang nach, rasch irgendwo anders
hinzugehen.
In eigener Sache: Zum Thema Zwischenwelten werde ich am 20.11.21 in Oberwil bei Zug einen Kurs anbieten. Hier können wir diese Themen gründlich besprechen und Übungen dazu durchführen: oberwilerkurse.