Wieder gelange ich dank den Kelten zu Erkenntnissen: Ich war in Alaise, einem kleinen Dorf mit kaum 50 Einwohnern im französischen Département Doubs. Auf einer genauen Karte hatte ich in der Nähe einen Ort gesehen, welcher mit «Vestiges Gaulois», gallische Überreste, gekennzeichnet war. Dort wollte ich hin. Dies hätte mich schon unter normalen Umständen interessiert, aber ich hatte zufälligerweise ein paar Tage früher in einem Supermarkt die Zeitschrift «GEO Histoire» zum Thema «Les Gaulois» gekauft und darin gelesen, dass es offenbar eine Kontroverse um den Standort der Schlacht von Alésia gab. An diesem Ort fand im Jahr 52 vor Chr. die Entscheidungsschlacht zwischen den Römern unter Gaius Iulius Caesar und den Galliern unter der Führung des Vercingetorix statt. Letzterer hatte die verschiedenen keltischen Stämme in Gallien vereinen können, um die Römer aus Gallien zu vertreiben. Dies gelang Vercingetorix jedoch nicht. Er verlor die Schlacht und dank des Sieges der Römer, konnten diese ihre Herrschaft in Frankreich für die nächsten Jahrhunderte festigen. Kurz: In Alésia vereinten sich die gallischen Stämme ein letztes Mal, verloren jedoch, und dies führte zum Ende der keltischen Kultur in Gallien.
Aber wo fand diese Schlacht genau statt? Die allermeisten
Archäologen und Historiker tippen auf Alise-Sainte-Reine in der Bourgogne –
dort stehen auch Denkmäler, Touristenzentren, Museen und dergleichen. Aber
nicht alle Experten teilen diese Ansicht. Einige weitere Standorte sind in
Diskussion. Darunter genau das Alaise, wo ich mich gerade befand.
Ein alter verwitterter Wegweiser zeigte zum Standort. Unterwegs
war ich genau auf der Nebelgrenze, was zu speziellen Lichtspielen der Sonne in
den Bäumen führte. Es war aber nicht nur Idylle: In der Ferne hörte ich
Motorsägen und just als ich an einem Hügel vorbeikam – später identifizierte
ich diesen als ein keltischer Grabhügel – hörte ich, wie ein gefällter Baum zu
Boden krachte. Ich erinnerte mich: Eine Strategie der Römer war, die Bäume in
den heiligen Hainen der Kelten zu fällen, um so diesem Volk ihre spirituelle
Grundlage zu rauben. Wie als Bestätigung dieser Idee folgten Stapeln von
gefällten Fichten auf beiden Seiten des Weges, bevor ich zu den keltischen
Überresten kam.
Und diese übertrafen alle Erwartungen: Deutlich konnte man die
Befestigungsmauern erkennen, wie auch die Umrisse von Häusern und eine Strasse samt
Randsteinen. Alles war mit dichten Schichten von Moos überdeckt. Die ganze
Siedlung erstreckte sich über 1.5 km, auch wenn heute die Häuser nur noch in
einem Teil gut sichtbar sind. Ausser mir, war da niemand. Die Siedlung war
gleich oberhalb einer Felswand (Alaise kommt von einem keltischen Wort für
Felswand), aber weil ich immer noch gleich an der Nebelgrenze stand, sah ich
unter mir nichts als weiss. An einer Stelle ging ein alter Pfad – heute als
Wanderweg ausgeschildert – einige hundert Meter nach unten zum Fluss Lison
(keltisch für «kleiner Fluss»). Auf meiner ganzen Reise hatte ich immer
gehofft, dass ich an einer Stelle ein Wanderwegzeichen am Boden finden würde,
welches ich als Andenken mitnehmen könnte. Und genau hier fand ich das für das
Département Doubs typische gelb-hellblaue Zeichen auf weissem Grund.
Dieser einsame Ort war auch genau richtig, um die Stimmung
der alten Kelten zu spüren. Wieso hatten die Kelten die Schlacht um Gallien
nicht gewonnen? Sie hatten den Heimvorteil. Sie hätten die Römer aus dem
Hinterhalt oder mit Terrorattacken sicher besiegen können. Solches gelang
dieses Jahr auch den Taliban oder vor 50 Jahren den Vietcong. Klar waren die
keltischen Stämme unter sich auch nicht immer gut zu sprechen, was die Römer zu
nutzen wussten. Aber diese Erklärung befriedigte mich nicht: Ich konnte nicht
wirklich verstehen, wieso die Kelten die Gallierkriege nicht gewonnen hatten. Während
ich darüber sinnierte, sah ich vor mir einen Pilz. Es wurde mir klar: Würde ich
Pilze verstehen, dann würde ich auch den Niedergang der Kelten verstehen.
Pilze? Das, was wir als Pilz gemeinhin erkennen ist nur der
Fruchtkörper, welcher nur das Fortpflanzungsorgan des im Boden sonst
verbreiteten Myzels ist. Der Fruchtkörper besteht aus miteinander verwachsenen Hyphen,
welche die Sporen bilden. Damit die Sporen verbreitet werden, locken die Fruchtkörper
gewisser Pilze zum Beispiel mit Gerüchen Tiere an, welche den Pilz berühren
oder ihn gar verspeisen, um auf diese Weise die Sporen zu verbreiten. Auch wenn
dabei der Fruchtkörper eingeht, überlebt der Pilz als Ganzes oder kann sich an
neuen Standorten aus den Sporen spriessen.
Genau dies hat Vercingetorix auch gemacht: Er hat die
verschiedenen Keltenstämme (die Hyphen) vereint, ein Heer gebildet (der
Fruchtkörper), welches Caesar anlockte aber Vercingetorix und die Kelten sind
dabei eingegangen. Während Caesar die Keltenstämme eroberte, beschrieb er sie
gleichzeitig genaustens. Ohne ihn, wüssten wir fast nichts über diese Kultur,
denn die Kelten selbst schrieben grundsätzlich fast nichts auf. Auf diese Weise
sind die Kelten zwar untergegangen, aber ihre Ideen und Philosophien sind dank Caesar
immer noch bekannt. Könnte es nun sein, dass die Gallier gar nicht gewinnen
wollten? Könnte es sein, dass sie wussten, dass ihre Zeit abgelaufen war?
Wollten sie deshalb alles noch einmal zusammenbringen und mit der verlorenen
Schlacht erreichen, dass einige ihrer Ideen weiterlebten?
Dieses Phänomen gab es nicht nur bei den Kelten: Auch die
Etrusker wussten, dass ihre Kultur nach 1000 Jahren fertig sein würde und
genauso unplausibel verloren sie danach Stadt um Stadt an die Römer. Dabei nahmen
die Römer viele etruskische Elemente in ihre Kultur auf und diese lebten so
weiter. Weitere Beispiele: Die nordamerikanischen Indianerkultur wurden von den
Europäern mehr oder weniger vernichtet, doch dank dieser Einverleibung wissen
wir heute viel über sie. Und ist es nicht bei den Tibetern auch so? Wäre der Dalai
Lama nicht nach Indien geflohen, wüssten wir viel weniger über den tibetischen
Buddhismus. Hypothese: Vor ihrem Niedergang versuchen gewisse Kulturen möglichst
viele Elemente zusammenzubringen und lassen sich dann gewissermassen aufessen.
Auf diese Art lebt ein Teil ihrer Kultur weiter, auch wenn sie selbst eingehen.
Gedankensprung: Uns als einzelne Menschen geht es doch genauso:
Auch bei uns geht es wohl darum, unsere Verbindungen zusammenzubringen bevor
wir sterben. Dies wollte mir das Wanderwegzeichen zeigen: Hier wurde symbolisch
das dritte Chakra (gelb, Solarplexus) mit dem fünften Chakra (hellblau) im
Herzen (weisser Hintergrund) zusammengebracht. Die Chakren sind die Orte, wo
wir über die spirituelle Welt mit Anderem verbunden sind. Bringt man diese
Chakren zusammen, geht man in Weiss beziehungsweise in Liebe auf. Genauso wie
das Weiss des Nebels oberhalb der Felswand von Alaise.
Ob Kultur oder Einzelperson: Wir müssen die Dinge
zusammenbringen (und nicht gegeneinander ausspielen), dabei etwas Neues sprich
uns selbst werden und dann Sporen bilden. Diese Sporen können weiterleben,
während wir gleichzeitig akzeptieren, dass wir als Einheit einem Ende
entgegensteuern. Wir sind also die Fruchtkörper unserer Verbindungen. Lassen
wir das zu.
Nächste Kurse:
Schamanische Reisen ins eigene Leben, 6. November, 2021, Zürich:
Obihaus – Kurse
Schamane zwischen Welten, 20. November, 2021, Oberwil bei
Zug: oberwilerkurse