Sonntag, 1. April 2007

Warten

Beim Warten merken wir sehr gut wie viel Vertrauen wir in unseren Weg haben. Achten Sie einmal genau darauf, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie etwa auf eine Antwort, in einer langen Schlange vor einem Schalter, auf einen Zug, auf eine gute Gelegenheit oder Ähnliches warten müssen. Können Sie die Begebenheit vertrauensvoll hinnehmen, im Wissen, dass auch diese Warterei auf Ihrem Weg ist? Oder werden Sie nervös, weil Sie nicht wissen, wie oder wann es weitergeht? Vielleicht ärgern Sie sich auch über die Zeit, die offenbar nutzlos vertan wurde.

Für den Schamanen ist Warten kein Thema. Die Dinge kommen einfach wie sie kommen. Indianische Zeremonien finden beispielsweise immer nach „Indianerzeit“ statt, das heisst, sie finden dann statt, wenn es sich richtig anfühlt, egal wie viel Leute gerade am Warten sind.

Die Zeit des Wartens ist nie verloren, sondern immer eine Gelegenheit, sich auf sich selbst zu besinnen. Es ist die Zeit zwischen zwei Ereignissen, die uns ermöglicht nötige Wartungsarbeit an uns selbst vorzunehmen. Der Schamane weiss, wäre eine solche Zwischenzeit nicht nötig, dann wäre sie nicht entstanden. Vielleicht ist es ja sogar wichtig – aus was für Gründen auch immer – erst später irgendwohin zu gelangen.

Das klingt alles sehr schön und gut, aber wie gehen wir praktisch vor, wenn wir unfreiwillig warten müssen? Hier eine Anregung: Atmen Sie ein paar Mal tief durch und entscheiden Sie sich, bewusst den Fluss der Dinge zu beobachten. Unternehmen Sie keinerlei Anstrengungen, die Wartezeit zu optimieren, indem Sie etwa abzuschätzen versuchen, in welcher Reihe Sie besser anstehen oder indem Sie im Stau eins, zwei andere Fahrzeuge überholen. Sagen Sie sich, dass diese Situation mit Höherem zu tun hat und achten Sie dabei genau auf Ihre Empfindung. Spüren Sie Verzweiflung, dann akzeptieren Sie diese. Beobachten Sie alles, was in Ihnen vorgeht. Dies heilt.  Und genau diese Heilung steht nun offenbar an und muss übrigens ein Andermal nicht gemacht werden.
 
Gerade in der Zeit, in der ich diesen Abschnitt schreibe, muss ich auf einen neuen Vertrag mit meinem Arbeitgeber warten, da ich im Rahmen einer Reorganisation in eine andere Abteilung versetzt werde. Dabei hängt die Drohung in der Luft, dass ich dadurch für die gleiche Arbeit weniger verdienen soll. Schon seit vier Monaten warte ich und niemand kann mir Auskunft geben; alle sind überlastet und niemand entscheidet. Meine schamanische Reise dazu zeigt symbolisch sehr schön, was es mit Warten auf sich hat und wie damit umgegangen werden kann: Als erstes Bild zeigte mein Helfer mich im strömendem Regen auf einem Feldweg vorwärts schleichend. Mein Kopf ist gesenkt, aber trotzdem sehe ich die vielen schwarzen Seilschlingen nicht, die mich immer wieder packen, mich zu Boden ziehen und dazu führen, dass ich in dreckige Pfützen falle und meine ganze Kleidung verschmutze. Bei jedem Sturz versuche ich sorgfältig meine Ausweise und meine Digitalkamera vor der Nässe zu schützen. Dies gelingt aber nur schlecht und verzweifelt hoffe ich darauf, dass der Regen endlich aufhört. Dann zeigt mir mein Helfer, wie es auch anders geht: Entschieden werfe alle Kleider weg und lasse den Regen auf meinen nackten Körper fallen. Voller Freude lasse ich mich reinigen und tanze im Regen. Ich beachte die Seilschlingen nicht mehr und sie erwischen mich auch nicht. Bald erscheint die Sonne und überall spriessen Blumen. Ich stehe in einer herrlich bunten Landschaft und freue mich riesig. Und, ohne dass ich merke, wie es geschah, bin ich wieder angezogen und habe eine Kamera mit der ich fotografieren kann. Als Nächstes erscheint eine Zollschranke vor mir. Aber auch das ist kein Problem, denn ich habe einen Ausweis im Sack.

Zusammengefasst und interpretiert: Nutzen wir die Zeit des Wartens für die eigene Heilung (ohne Schutz liess ich den Regen auf mich fallen). Kümmern wir uns nicht um mögliche Verluste in der Zukunft (ich warf alle Kleider und Ausweise weg)). Haben wir uns geheilt, dann kommen wir an einen neuen Ort und alles, was wir dazu benötigen, werden wir vorfinden (ich konnte die Zollschranke passieren).