Für den Schamanen ist Warten kein Thema. Die Dinge kommen einfach wie
sie kommen. Indianische Zeremonien finden beispielsweise immer nach „Indianerzeit“
statt, das heisst, sie finden dann statt, wenn es sich richtig anfühlt, egal
wie viel Leute gerade am Warten sind.
Die Zeit des Wartens ist nie verloren, sondern immer eine Gelegenheit,
sich auf sich selbst zu besinnen. Es ist die Zeit zwischen zwei Ereignissen,
die uns ermöglicht nötige Wartungsarbeit
an uns selbst vorzunehmen. Der Schamane weiss, wäre eine solche Zwischenzeit
nicht nötig, dann wäre sie nicht entstanden. Vielleicht ist es ja sogar wichtig
– aus was für Gründen auch immer – erst später irgendwohin zu gelangen.
Das klingt alles sehr schön und gut, aber wie gehen wir praktisch vor,
wenn wir unfreiwillig warten müssen? Hier eine Anregung: Atmen Sie ein paar Mal
tief durch und entscheiden Sie sich, bewusst den Fluss der Dinge zu beobachten.
Unternehmen Sie keinerlei Anstrengungen, die Wartezeit zu optimieren, indem Sie
etwa abzuschätzen versuchen, in welcher Reihe Sie besser anstehen oder indem
Sie im Stau eins, zwei andere Fahrzeuge überholen. Sagen Sie sich, dass diese
Situation mit Höherem zu tun hat und achten Sie dabei genau auf Ihre
Empfindung. Spüren Sie Verzweiflung, dann akzeptieren Sie diese. Beobachten Sie
alles, was in Ihnen vorgeht. Dies heilt.
Und genau diese Heilung steht nun offenbar an und muss übrigens ein Andermal
nicht gemacht werden.
Gerade in der Zeit, in der ich diesen Abschnitt schreibe, muss ich auf
einen neuen Vertrag mit meinem Arbeitgeber warten, da ich im Rahmen einer
Reorganisation in eine andere Abteilung versetzt werde. Dabei hängt die Drohung
in der Luft, dass ich dadurch für die gleiche Arbeit weniger verdienen soll.
Schon seit vier Monaten warte ich und niemand kann mir Auskunft geben; alle
sind überlastet und niemand entscheidet. Meine schamanische Reise dazu zeigt
symbolisch sehr schön, was es mit Warten auf sich hat und wie damit umgegangen
werden kann: Als erstes Bild zeigte mein Helfer mich im strömendem Regen auf
einem Feldweg vorwärts schleichend. Mein Kopf ist gesenkt, aber trotzdem sehe
ich die vielen schwarzen Seilschlingen nicht, die mich immer wieder packen,
mich zu Boden ziehen und dazu führen, dass ich in dreckige Pfützen falle und meine
ganze Kleidung verschmutze. Bei jedem Sturz versuche ich sorgfältig meine
Ausweise und meine Digitalkamera vor der Nässe zu schützen. Dies gelingt aber
nur schlecht und verzweifelt hoffe ich darauf, dass der Regen endlich aufhört.
Dann zeigt mir mein Helfer, wie es auch anders geht: Entschieden werfe alle
Kleider weg und lasse den Regen auf meinen nackten Körper fallen. Voller Freude
lasse ich mich reinigen und tanze im Regen. Ich beachte die Seilschlingen nicht
mehr und sie erwischen mich auch nicht. Bald erscheint die Sonne und überall
spriessen Blumen. Ich stehe in einer herrlich bunten Landschaft und freue mich
riesig. Und, ohne dass ich merke, wie es geschah, bin ich wieder angezogen und
habe eine Kamera mit der ich fotografieren kann. Als Nächstes erscheint eine
Zollschranke vor mir. Aber auch das ist kein Problem, denn ich habe einen
Ausweis im Sack.
Zusammengefasst und interpretiert: Nutzen wir die Zeit des Wartens für
die eigene Heilung (ohne Schutz liess ich den Regen auf mich fallen). Kümmern wir
uns nicht um mögliche Verluste in der Zukunft (ich warf alle Kleider und
Ausweise weg)). Haben wir uns geheilt, dann kommen wir an einen neuen Ort und
alles, was wir dazu benötigen, werden wir vorfinden (ich konnte die
Zollschranke passieren).
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