Dienstag, 1. März 2011

Ablenkung


Als Schamanen sind wir immer - wirklich zu jedem Augenblick - auf unserem Pfad. Das bedingt, dass wir vor Ablenkungen Acht geben müssen, von Dingen also, die uns von unserem Pfad wegziehen, die unsere Aufmerksamkeit woanders hinlocken wollen.  Denn ist unsere Aufmerksamkeit woanders, dann bemerken wir nicht mehr unsere eigenen Themen, dann schenken wir unsere Energie nicht mehr unserem Weg, sondern einem anderen. Wir leben dann ein fremdes Leben. Aber wie merken wir, was eine Ablenkung ist und was nicht?

Grundsätzlich können wir zwei Arten von Fehlbeurteilungen machen: 1) Wir beurteilen etwas als eine Ablenkung, obwohl es keine ist oder umgekehrt 2) eine Ablenkung kommt getarnt, und wir merken nicht, dass es eine ist.

Zum ersten: Es bestehen herkömmliche Meinungen über Ablenkungen: Medien wie Fernsehen, Unterhaltung, Symptombekämpfung in der Medizin, zu viel Arbeit oder zu viele Termine und dergleichen werden in der Regel als Ablenkungen betrachtet. Dies mag oft tatsächlich der Fall sein, aber nur weil eine allgemeine Meinung dazu herrscht, heisst wiederum nicht, dass dies im konkreten Fall auch wirklich so ist. Beurteilen wir unseren Weg nach allgemeinen Meinungen, dann besteht das grosse Risiko, dass uns wichtige Elemente verloren gehen.

Zum zweiten: Andererseits können natürlich auch Ablenkungen getarnt erscheinen, Dinge also, die z.B. von Wegen sprechen, Wörter verwenden, die mit Entwicklung zu tun haben usw. aber alles in allem trotzdem nichts mit unserem Weg zu tun haben und deshalb in Tat und Wahrheit eine Ablenkung darstellen, obwohl es nicht so aussieht.

In anderen Worten, vielleicht ist für uns eine konkrete die Fernsehsendung und ein bestimmtes Fest gar keine Ablenkungen, hingegen ein gewisses Esoterikseminar oder Buch über indische Meister schon. Oder vielleicht ist es umgekehrt. Was also eine Ablenkung ist und was nicht, hängt vom konkreten Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt ab.

 







Bambus ist biegsam und gelangt nach einer Ablenkung wieder in den ursprünglichen Zustand zurück. Fotos: Jakob.

 Wie findet man nun heraus, was für uns Ablenkungen sind und was nicht? Ein Weg erfüllt grundsätzlich immer die Bedingung, dass sämtliche Entscheidungen mit dem Herzen gefällt werden. Falls also mein Herz ja sagt zur Fernsehsendung, dann ist sie auf meinem Weg, dann ist sie keine Ablenkung. Wenn das Herz hingegen nein sagt, dann ist sie eine Ablenkung. Das heisst, die genau gleiche Sendung, ist für den einen eine Ablenkung, für den anderen nicht. Weiter können wir überprüfen, ob wir auf unserem Weg sind, falls die Aktivität ein Gefühl auslöst. In anderen Worten, genügt es, auf sein eigenes Herzen zu hören – auch in den kleinen Entscheidungen.

 



 Schilf biegt sich mit der Ablenkung der Wellen und richtet sich danach wieder auf. Foto: Jakob


Dies die Theorie. In der Praxis sieht es viel komplizierter aus, denn wahre Ablenkungen können sehr heimtückisch sein und uns derart in ihren Bann ziehen, dass es kaum möglich ist, sie zu Beginn überhaupt zu erkennen und sind wir einmal in deren Fesseln, können wir uns kaum mehr befreien. Dies lässt sich durchaus mit einem Virus vergleichen, der uns zuerst unbemerkt befällt und uns dann krank macht wenn er ein kritisches Mass überschreitet. Ablenkungen (egal was es ist…) befallen uns auf eine ähnliche Art und rauben unsere Energie. Oft beginnt es – wie beim Virus – ganz harmlos: Wir haben vielleicht ein Buch gelesen oder eine Serie geschaut ohne auf unser Herzen zu achten, und plötzlich sind wir süchtig. Oder wir hören auf einen Demagogen, zuerst ganz harmlos, und plötzlich lassen wir uns von ihm leiten.  

Leicht kommen wir dann in einen wahren Teufelskreis: Wir sind immer mehr im Bann der Ablenkung, verlieren unsere Energie indem wir unsere Aufmerksamkeit der Ablenkung widmen und erhalten auch immer weniger neue (weil unsere Energie letztlich von unserem Weg stammt). Immer mehr und mehr verlieren wir unsere Energie und können uns nach und nach gar nicht mehr wehren, sogar dann nicht, wenn wir merken, dass wir von dieser Ablenkung gefangen sind. Eine Sucht ist ein typisches Beispiel, aber auch andere Dinge, die unsere Aufmerksamkeit in Bann ziehen, ohne dass es auf unserem Weg ist.

Einige Ablenkungen, die mich in letzter Zeit gefordert haben sind z.B. Lärmquellen wie Kirchenglocken oder Privatflugzeuge (ich höre immer hin und meine Aufmerksamkeit ist nicht mehr bei meinem Weg) oder Hunde (immer wenn einer in der Nähe ist, dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf ihn in der Angst, er könnte mich beissen). Für Aussenstehende mögen diese Beispiele unplausibel sein, aber das ist ja genau das Merkmal: Die Ablenkungen sind spezifisch für jeden Menschen.

Wie geht man damit um? Das wichtigste ist wohl, dass wir zuerst erkennen müssen, dass diese Dinge in der Tat Ablenkungen sind. Dann müssen wir verstehen, dass der Kampf gegen eine Ablenkung aussichtslos ist. Die Ablenkung lebt davon, dass wir ihr Aufmerksamkeit schenken, was in einem Kampf unweigerlich der Fall ist. Der Kampf verstärkt also die Wirkung der Ablenkung. Das heisst, es braucht eine andere Strategie: Wir müssen akzeptieren, dass diese Ablenkung existiert und dass wir sie nicht verhindern können. Wir müssen sie anerkennen und sie an uns vorbeiziehen lassen. Wir beugen uns so wie der Bambus im Wind, der sich biegt, wenn die Ablenkung ihn trifft aber wieder aufsteht, sobald sie vorbei ist. Oder wie eine Welle im Meer, die auf eine andere trifft und nach dieser einfach weitergeht, wie wenn nicht gewesen wäre.

Wir akzeptieren also unsere Ablenkung, lassen sie durchziehen. Dies gibt uns wieder den Raum, uns auf uns selbst zu besinnen und unsere Aufmerksamkeit wieder unserem Weg zu geben.

In meinem Beispiel muss ich z.B. anerkennen, dass es Kirchenglocken, Privatflugzeuge oder Hunde gibt und ich muss sie an mir vorbeiziehen lassen und meine Aufmerksamkeit wieder meinem Weg geben.

Wir lösen uns von der Ablenkung, die uns im Griff hat, indem wir Akzeptieren, Zulassen und Loslassen.

 




Auch Gräser lassen die Ablenkung des Windes zu und kehren danach in die ursprüngliche Form zurück. Fotos: Jakob

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