Der Schamane
entscheidet mit dem Herz. Dies - so würde man auf Anhieb sagen – bedingt, dass
wir über einen freien Willen verfügen, sprich, dass wir die Wahl haben, mit dem
Herzen zu entscheiden oder auch nicht. Haben wir uns einmal für das Herz
entschieden, dann ist die Sache so oder so unklar: Was ist es genau, was
unserem Herzen den Impuls gibt? Wer sagt, was unser Weg ist? Sind wir unser
Herz oder ist es sonst etwas? Was geschieht, wenn wir im Sinne von mehr Liebe
entschieden? Wer weiss das so genau? Der Herzentscheid selbst hat deshalb wohl
wenig mit freiem Willen zu tun. Aber wie ist der Schritt vorher? Haben wir
wirklich die Wahl, mit dem Herzen zu entscheiden oder nicht?
Landläufig
sind wir durchaus der Meinung wir hätten einen freien Willen. Wir sind uns
sicher, dass es ein Ich gibt, welches sich aus freien Stücken entscheidet, egal
ob das eine wichtige Entscheidung ist, zum Beispiel die Wahl eines
Lebensgefährten, oder eine unbedeutendere, wie zum Beispiel ob wir diese oder
die andere Frucht im Lebensmittelgeschäft kaufen. Der freie Wille wird kaum in
Frage gestellt.
Dieser freie
Willen lehnen wir hingegen in der Regel bei den meisten anderen Lebewesen ab.
Insekten, Bakterien, Pflanzen und alle anderen Lebewesen verfügen über einen
Instinkt, so finden wir. Ihr Verhalten würde sich nach komplexen aber
vorbestimmten Abläufen richten, ganz analog zu Computerprogrammen. Die anderen
Lebewesen reagieren auf eine vordefinierte Art und Weise, je nachdem welche
äusseren Reize auf sie einwirken. Wir Menschen sind aber anders: Wir haben
Sprache, Kultur, Pläne, Konzepte und so weiter. Und dies geht ohne freien
Willen nicht. Andere Lebewesen hätten keine solchen Errungenschaften, deshalb
auch keinen freien Willen.
Vergleichen
wir aber versuchsweise Menschen und Ameisen und zwar von einem Blickwinkel von
weit aussen – so als seien wir selbst keine Menschen, sondern neutrale
Beobachter. Aus dieser Warte sehe ich keine grundsätzlichen Unterschiede: Beide
leben in komplexen Sozialsystemen mit einer Sprache (bei uns auf akustischer,
bei den Ameisen auf chemischer Basis), einer Arbeitsteilung, Ritualen, Plänen,
Verkehrswegen mit Regeln, Landwirtschaft und so weiter. Sogar betreffend
Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind wir gleich: Sowohl Menschen wie Ameisen
können ihre Umgebung soweit zerstören, dass sie ihre eigene Lebensgrundlage
vernichten. Die Mechanismen mögen zum Teil unterschiedlich sein, doch ist das
Resultat im Kern sehr ähnlich. Haben nun Ameisen und Menschen beide einen
freien Willen, oder haben beide keinen? Ameisen sind ein offensichtliches
Beispiel der Ähnlichkeit zwischen Mensch und anderen Lebewesen, doch findet man
problemlos weitere Beispiele: So kommunizieren etwa Bäume miteinander um sich
vor einem Insektenbefall zu warnen.
Rein vom
vergleichenden Beobachten her, ist es also kaum möglich herauszufinden, wer nun
einen freien Willen hat und wer nicht. Ich erkenne keine Grenze. Im Prinzip hat
alles einen freien Willen oder nichts. Zudem erkenne ich an uns Menschen
nichts, dass nicht auch mit komplexen Programmen erklärt werden könnte. In
anderen Worten sehe ich keinen Weg zu beweisen, dass wir einen freien Willen
hätten. Noch sehe ich eine Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. Diese Frage
bleibt meines Erachtens ungeklärt – nicht nur beim Herzentscheid, auch vorher.
Aber vielleicht
ist es gar nicht so schlecht, dass wir diese Frage nicht klären können. Wieso?
Erstens gibt es uns eine gewisse Bescheidenheit – wir sind nicht anders als
alle anderen Lebewesen. Zweitens beobachten wir unser eigenes Verhalten wachsamer
und bewusster, wenn wir uns immer wieder die Frage stellen, ob wir nun aus
eigenen Stücken entschieden haben oder nicht. Drittens könnte es so sein, dass
alles sowieso nach einem anderen, uns unbekannten Mechanismus abläuft und so werden
wir ständig daran erinnert, dass die Dinge meist anders sind, als wir denken.
Bleiben wir
kurz beim letzten Gedanken: Wenn wir sagen, die Dinge sind anders, als wir
denken, ist es sogar möglich, dass „freier Wille“ und „kein freier Wille“
beides Projektionen von etwas Umfassenderem sind, das wir nicht kennen oder
erfassen können. Gewissermassen sieht etwas von der einen Seite her als freier
Wille aus, von der anderen hingegen nicht. Aber beide sind nicht wirklich das
Vollständige. Dieses bleibt unbekannt.
Was wäre nun
ein konkreter Umgang mit dieser Unklarheit. Ich schlage vor, die Dinge immer
aus beiden Perspektiven anzuschauen. Wie sieht etwas aus, wenn wir davon
ausgehen, wir hätten einen freien Willen und wie sieht es aus, wenn wir keinen
hätten. Hat jemand etwa ein Verbrechen begangen, dann betrachten wir die
Situation, als hätte dieser einen freien Willen gehabt (er ist schuld…) und auch
so als hätte er keinen freien Willen gehabt (es sind die Umstände, die ein
Programm bei ihm auslösen…). Und wir entscheiden erst dann mit dem Herzen, wenn
wir beide Perspektiven wahrgenommen haben. Für die praktische Anwendung des
Schamanismus ändert sich in diesem Sinne nichts – wir entscheiden nach wie vor
mit dem Herzen – weil wir aber weitere Perspektiven wahrnehmen, bestehen mehr
Möglichkeiten und so kann das Herz eher den richtigen Weg finden.
Und
vielleicht, wenn dies gar nicht so ist und wir tatsächlich in unserer üblichen
Wahrnehmung keinen freien Willen haben, so hat es diesen vielleicht doch
irgendwo – sonst hätten wir wohl diese Idee nicht. Um ihn jedoch zu finden,
müssen wir aber vermutlich zuerst anerkennen, dass wir keinen haben, denn die
Illusion des freien Willens, verhindert vermutlich genau, dass wir den eigentlichen
freien Willen finden. Diesen zu suchen (ob er dann existiert oder nicht) kann schon
deshalb eine lohnende Aufgabe sein, weil wir dann die Welt ganz anders zu
betrachten beginnen. Und wo könnte dieser freie Wille sein? Vielleicht in einem
Raum beziehungsweise einer Dimension, die noch umfassender ist, als das Herz
oder die Liebe.
Wie auch
immer – es gibt noch ganz viel zu entdecken.
Haben
Ameisen einen freien Willen? (Quelle: http://wall.alphacoders.com)
Lieber Jakob! Juhui auf Blog!! Das freut mich ;-)
AntwortenLöschenEn liebe Gruess, Sonja