Donnerstag, 10. März 2016

Bescheidenheit



Bescheidenheit ist eine wichtige Qualität unseres eigenen Weges des Herzens Richtung Liebe. Aber wieso?

Wollen wir unseren eigenen Weg des Herzens gehen, dann müssen wir diesen zuerst wahrnehmen. Das Fenster zu unserem Weg ist wiederum unser Herz. Dieses muss offen sein, damit die Liebe, sprich unser Weg, hineinströmen kann. Wie bei einem Fenster, entsteht nur dann ein Luftzug von aussen nach innen, wenn der Druck aussen grösser ist als der Druck innen. In diesem Vergleich ist die Liebe ein Teil des Drucks von aussen, unser materielles Selbst, unser Ego beziehungsweise unsere Identität oder Form der Druck von innen. Je nach Druckverhältnis fliesst entweder unser Ego nach Aussen oder die Welt inklusive der Liebe nach innen. Das heisst, damit wir unseren Weg wahrnehmen, müssen wir unser materielles Selbst beziehungsweise unser Ego in den Hintergrund stellen. Oder etwas radikaler ausgedrückt: Wir müssen unsere Bedeutungslosigkeit anerkennen, also unsere Idee aufgeben, dass wir jemand sind, der wichtig ist. Dies erreichen wir, indem wir uns in Bescheidenheit üben. Mit Bescheidenheit lässt der Druck auf der Innenseite des Fensters nach, das Aussen mitsamt der Liebe strömt in uns und erst dann haben wir eine Chance die nächsten Schritte unseres Weges wahrzunehmen.

Natürlich – und das ist oben schon angetönt - strömt bei einem offenen Fenster nicht nur Liebe in uns. Alles, was ausserhalb ist, dringt in uns hinein. Nach wie vor müssen wir also entscheiden, was von alldem nun zu unserem Weg gehört und was nicht. Aber zumindest hat der eigene Weg die Möglichkeit sich bemerkbar zu machen, was er sonst gar nicht hätte. Das Aussortieren bleibt also. Aber lieber aussortieren und das Gute finden, als wegen einem zu starkem Ego das Gute gar nicht erst zulassen.

Vielleicht ist ein Vergleich mit Wasser passend: Als Eis haben wir eine konkrete Form, wir sind jemand, wir haben Status, ein Ego, eine Individualität. Aber als Eis sind wir auch starr, unbeweglich und abgegrenzt  gegenüber anderen und anderem. Wenn das Eis hingegen schmilzt und wir flüssiges Wasser werden, wir also unsere Form beziehungsweise unser Ego aufgeben, dann gibt uns dies die Beweglichkeit, einen Weg zu gehen. Flüssiges Wasser bewegt sich, Eis nicht. Flüssiges Wasser hat dafür keine Form, Eis schon – dies also die Gegensätze.  Um uns zu bewegen, müssen wir deshalb den Anspruch aufgeben, dass wir jemand sind. Und hier hilft Bescheidenheit.

Was heisst dies konkret?  Wie leben wir, ohne Identität, gewissermassen, ohne zu existieren? Wir leben von Herzen und ignorieren dabei alles, was uns normalerweise eine äussere Form gibt: Wir geben unsere Persönlichkeit, unsere Konditionierung, unsere kulturelle Prägung, unsere Rollen, unsere Meinungen, unsere Urteile auf. Sicher, wir müssen nach wie vor einem Lebensunterhalt nachgehen, müssen uns in der Gesellschaft bewegen und so weiter – und solches braucht eine Form. Aber die Identitäten, die wir dabei eingehen, sind immer vorübergehend, etwa wie Kleider, die wir der jeweiligen Situation anpassen. Nie nehmen wir dabei diese temporäre Form oder Identität ernst.   

Bescheidenheit hilft uns demnach, diese äussere Form oder Identität, unser Ego also, abzustreifen.  Deshalb ist es wohl hilfreich, wenn wir uns ein paar Eigenschaften der Bescheidenheit vor Augen führen:  

Wir akzeptieren Situationen, so wie sie sind, voll und ganz und ohne jeweils ein Urteil zu fällen. Auf der anderen Seite klagen wir nicht mehr darüber, wie schlecht es uns geht oder darüber, dass wir Opfer der Umstände sind.

Wir sind offen gegenüber allem, was uns begegnet. Auf der anderen Seite beschäftigen wir uns nicht mehr mit unserer Identität und wie wir sie stärken könnten.   

Wir sind dankbar für alles, was wir antreffen. Auf der anderen Seite lassen wir unsere Besitzgier los, sei dies für Materielles (etwa ein Haus oder ein Auto) oder für Immaterielles (etwa Lob, Status oder Anerkennung).

Wir haben keine Ansprüche. Auf der anderen Seite lassen wir unsere Selbstherrlichkeit und unsere Anspruchshaltung los.  

Wir vergeben anderen. Auf der anderen Seite machen wir niemandem Vorwürfe.

Wir üben uns in Vertrauen. Auf der anderen Seite geben wir unser Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit auf.  

Wir nehmen eine Haltung des Nicht-Wissens ein. Auf der anderen Seite, lassen wir unser Verständnis der Welt los und akzeptieren, dass wir stets von anderen lernen können.

Wichtig: Bescheidenheit heisst nun aber nicht, dass wir uns weniger wichtig oder wertvoll machen als andere oder uns selbst erniedrigen. Wir suchen also nicht das Gegenteil des Egos, oder wir suchen auch nicht wenig Identität statt viel Identität, sondern wir sind an einer anderen Stelle, einer wo dies alles gar kein Thema ist. Mit unserer Bescheidenheit öffnen wir uns für die Liebe – wir sind dann gewissermassen in einem anderen Raum, einem wo gar nicht erst über Identitätsfragen gesprochen wird.

Bescheidenheit – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Meinung – ist also keine Schwäche, sondern im Gegenteil, eine Stärke. Es ist sogar eine sehr wichtige Stärke, welche uns ermöglicht, unseren eigenen Weg wahrzunehmen. Und - nochmals - nur wenn wir ihn wahrnehmen, können wir ihn auch gehen.  
 
                                  
 
Schwebefliege auf einem Buschwindröschen. Bescheidenheit oder nicht?