Von der Zeitschrift
3fach, welche sich an das Personal und die Leitung von Pflegeheimen richtet,
wurde ich gebeten, einen Artikel über Schamanismus und Rituale zu schreiben.
Rituale sind nun nicht so mein Ding, aber nach einem Telefongespräch mit der
Redaktorin, sagte ich dennoch zu. Hier ist, was dabei herausgekommen ist:
Oft werden Schamanen
mit allerlei Ritualen in Verbindung gebracht. Wir sehen sie tanzen, Schwitzhütten
besuchen, räuchern und dergleichen. Dies ist aber meist nur das, was an der
Oberfläche geschieht. Im tiefsten Kern geht es um etwas gänzlich Anderes: Das Wesen
des Schamanismus wird nämlich lediglich durch zwei Elemente gekennzeichnet:
1. Schamanen sind
Menschen, die konsequent ihre eigenen Wege im Leben suchen und gehen. Dabei
erfüllen sie die Absicht des Universums beziehungsweise des Göttlichen.
2. Als Unterstützung
hierzu ändern sie mitunter ihre Wahrnehmung, um in einer anderen Wirklichkeit -
einer Art Traumwelt - Hilfe zu erhalten.
Schamanen gehen davon
aus, dass das Universum, das Göttliche, oder wie eine übergeordnete Kraft auch
immer genannt wird, eine Absicht für jeden Menschen hat, oder eben einen
eigenen Weg. Unser Herz kennt diesen Weg. Konsequentes Entscheiden mit dem
Herzen – also nicht mit dem Kopf oder mit dem Bauch – lässt uns die Absicht des
Universums erfüllen. Diese Absicht zu erkennen, beziehungsweise Herzentscheide zu
fällen, ist aber eine schwierige Aufgabe, da wir von unseren Eltern, von der
Gesellschaft oder von Institutionen geprägt worden sind, die ihre eigenen und
nicht unsere Interessen verfolgen. Deshalb besteht die erste Aufgabe meist
darin, sich selbst so weit zu heilen, dass die Absicht des Universums überhaupt
erkannt werden kann.
Weil der eigene Weg
ausserordentliche Herausforderungen mit sich bringt, können Schamanen als zusätzliche
Unterstützung vorübergehend ihre Wahrnehmung ändern und die materielle Welt des
Alltags verlassen, um in einer spirituellen Wahrnehmung Hinweise über konkrete
Anliegen zu erhalten.
Diese beiden Elemente
sind die Essenz des Schamanismus. Alles andere, was sichtbar mit Schamanismus
in Verbindung gebracht wird, so auch Rituale, sind lediglich zusätzliche
Hilfsmittel, welche entweder den eigenen Weg oder die Änderung der Wahrnehmung
unterstützen.
Diese Erkenntnis ist
äusserst wichtig, denn oft wird die Sache genau umgekehrt angegangen. Weil die
Rituale sehr sichtbar und oft beeindruckend sind, besteht die konkrete Gefahr,
dass sie von anderen Kulturen übernommen oder auch eigene entwickelt werden
ohne auf die tiefere Essenz – eben der eigene Weg oder die Absicht des Universums
– zu achten. Manchmal werden auch Rituale angewendet, um konkrete Ziele zu
erreichen, von denen aber unklar ist, ob sie dem eigenen Weg entsprechen oder
ob sie einem anderen Bedürfnis entspringen. Ich habe schon zu oft beobachtet,
wie indianische Rituale eins-zu-eins mit pedantischer Beachtung aller Details
übernommen werden, der eigene Weg dabei aber vergessen geht.
Rituale sind nun aber
nicht falsch. Im Gegenteil: Mein Anliegen ist aber, dass man sich zuerst über
seinen eigenen Weg und den damit verbundenen Themen Klarheit verschafft, bevor
man Rituale anwendet. Das Ritual ist nicht die Essenz, es ist ein Hilfsmittel,
mehr nicht.
Hat man nun dies
erkannt, dann besteht eine grosse Freiheit in der konkreten Gestaltung des
Rituals. Meines Erachtens wird das Ritual am besten selber entwickelt. Empfehlenswert
ist, wenn man sich dabei Fragen stellt wie: Welche Handlungen könnten meinen
Weg unterstützen? Welche Handlungen helfen, mein Herz zu öffnen? Schon alleine
die Beschäftigung mit der Gestaltung eines Rituals zur Unterstützung des
eigenen Weges hilft diesen finden. Es sind eigene Wege und deshalb eigene
Rituale. Ich verzichte deshalb bewusst auf konkrete Vorschläge.
Aber geht das auch für
einen Menschen, der pflegebedürftig ist? Für einen alten Menschen, der
vielleicht nur noch wenige Jahre, Monate oder gar Tage zu leben hat? Für
jemanden, der sich kaum mehr bewegen kann und für alles Hilfe benötigt? Ja –
denn es ist nie zu spät und es gibt keine Situation, in der ein eigener Weg
nicht gegangen werden könnte. Es gibt keine Lebensumstände, bei der das Universum
oder das Göttliche keine Absicht für einen Menschen hätte. Die Kunst ist es
also, auch diese Menschen zu motivieren, Gedanken zu solchen Themen zu machen
und auch in ihren spezifischen und schwierigen Umständen nach der Absicht des
Universums zu suchen.
Aber wie geht nun ein
pflegender Mensch oder eine Heimleitung konkret vor? Es ist alles andere als
einfach Menschen für ein solches Vorgehen zu motivieren. Mein Vorschlag
deshalb: Man wendet diese Vorgehensweise zuerst auf sich selbst an. Wir stellen
uns deshalb Fragen wie: Was hat ein konkreter Mensch mir zu sagen? Wieso bin
ich mit ihm zusammen? Was hat das mit meinem Weg zu tun? Wie kann ich besser
lernen, auf mein eigenes Herzen zu hören? Welche unterstützenden Rituale mache
ich bei mir selbst? Der gesamte Aufwand, Rituale in der Pflege einzubringen,
beginnt also zuerst bei uns selbst und der Umgebung wird noch nichts gesagt.
Gelingt dies – und so
funktioniert das schamanische Weltbild – dann werden wir zusehends mit pflegebedürftigen
Menschen in Kontakt kommen, die selbst offen sind für diese Vorgehensweise und
die man dann auf ihren Wegen unterstützen kann – ob mit Ritualen oder sonst
wie. Und so entsteht auf eine natürliche, ungezwungene Art eine Umgebung, in
der alle Menschen, sowohl das Personal wie die Pflegebedürftigen auf eigene
Wege, ihr Herz beziehungsweise auf die Absicht des Universums hören.
Vom umgekehrten
Vorgehen rate ich ab, d.h. ich überlege mir nicht, welches Ritual wohl für
einen anderen Menschen gut sein könnte. Denn woher will ich wirklich wissen,
was die Absicht des Universums für einen anderen Menschen ist? Wir können wohl
eine Struktur in den Tagesablauf bringen, aber das Ritual wird den tieferen
Zweck oft verfehlen.
Also: Schamanen gehen
ihren eigenen Weg und hören dabei auf ihr Herzen. Um pflegebedürftigen Menschen
diesbezüglich am besten zu helfen, schlage ich vor, dass sich das Personal
zuerst und in erster Linie selbst die
Frage nach dem eigenen Weg stellt. Auf diese Art und Weise kommen sie danach
mit den richtigen Menschen zusammen, die ebenfalls für diese Thematik offen
sind. Erst dann und in zweiter Linie, können Rituale geschaffen werden, welche
bei allen Beteiligten die Absicht des Universums unterstützen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen